Jörg von Bargen
Wo das Licht sich bricht
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Der Überfall
Wütend gab er dem Teller mit dem angebissenen Hamburger einen Stoß, dass dieser zwei Meter scheppernd über den Tresen glitt, bevor eine Kollegin ihn mit der Hand anhielt.
»Was ist denn los mit dir? Warum bist du so aufgebracht?«
Der fast ein Meter neunzig große junge Mann mit dem geflochtenen Zopf im Nacken beherrschte sich mühsam und stieß seinen Unmut über einen Gast mit halbwegs gebändigter Stimme aus.
»Ich bring sie noch mal um, diese Tussi. Jeden Tag findet die einen anderen Grund, an unseren Sachen herumzumäkeln. Mal ist die Coke nicht kalt genug oder der Kaffee zu schwach. Mal bin ich ihr zu langsam. Jetzt behauptet sie, einen Cheeseburger bestellt zu haben, obwohl ich genau weiß, dass sie lügt. Sie weigert sich, das Ding aufzuessen, das ich gebracht habe. Das geht wieder voll auf meine Kosten. Bin ich Rockefeller?«
»Reg dich ab«, versuchte seine Kollegin ihn zu beschwichtigen. »Vermutlich hat die Dame Probleme, die sie bei uns ablässt. Nimm es gelassen, solange sie ihre Rechnung bezahlt. Auf ein Trinkgeld kannst du bei der bestimmt verzichten.«
»Du hast gut reden. In dein Revier verirrt sie sich nie. Nein, die hat mich im Visier.«
»Mensch, bleib ruhig. Jeder hat seinen Problemgast.«
Langsam beruhigte er sich.
»Hast ja recht. Es gibt Schlimmeres auf dieser Welt.«
Plötzlich schoss die Schwingtür nach vorne und ein Mann mit einer Clownsmaske vor dem Gesicht betrat das Restaurant. Die Verkleidung wirkte nicht weiter bedrohlich auf die Gäste, wohl aber die Pistole in seiner Hand.
»Alle legen ihre Pfoten vor sich auf die Tische«, schrie er mit dumpfer Stimme in den Raum hinein und fuchtelte dabei mit der Waffe herum. »Wer eine falsche Bewegung macht, kriegt eine verplättet. Sollte jemand nach den Bullen rufen, passiert eine Katastrophe. Also Finger weg von den Handys.«
Verstört gehorchten die Leute in dem Restaurant. Ängstlich starrten sie zu dem Eingang hin. Der Mann ging wenige Schritte nach vorne und steuerte direkt auf den Tisch zu, an dem Mandry und seine Tochter saßen. Fordernd streckte er die Hand aus.
»Her mit dem Päckchen! Dafür hat jemand bessere Verwendung als ihr. Los, los, Beeilung!«
Jenny rückte ängstlich an ihren Vater heran. Vorsichtig kam er der Aufforderung nach.
Wie weggeflogen war bei Roy Baker, dem jungen Kellner, die Wut auf die ewig nörgelnde Frau. Seine Augen flogen über den Tresen. Er entdeckte gleich rechts neben sich eine volle Konservendose. Vorsichtig tastete er sich mit einer Hand vor, bis er sie fest umschloss. Er liftete sie leicht an. Für seine Zwecke sollte es allemal reichen. Wie in Trance spürte er, dass der Eindringling seinen Kopf von ihm abwenden würde. Er dachte nicht weiter nach, holte weit aus und warf die Dose kraftvoll in dessen Richtung. Mit halb geschlossenen Augen registrierte er, dass er die Schläfe des Mannes mit voller Wucht getroffen hatte. Dieser stürzte um wie ein gefällter Baum, ohne einen Ton von sich zu geben. Polternd fiel die Waffe zu Boden. Die zweckentfremdete Dose rollte unter eine Sitzbank.
Einer der Gäste neben ihm gab der Pistole einen Tritt, sodass sie bis ans Ende des Raumes segelte. Dann beugte er sich über den Besinnungslosen und horchte nach dessen Atem. Er ging flach. Der Restaurantbesitzer telefonierte nach der Polizei.
»Mensch«, redete einer der Gäste auf Baker ein, »das war ein großartiger Wurf! Du solltest mal bei uns vorbeischauen. So einer wie du fehlt in unserer Footballmannschaft.«
»Vergiss es«, winkte er ab. »Am College haben die mich bereits nach zehn Minuten ausgemustert. Die meinten, ich sei zu langsam.«
»Aber diese Treffsicherheit!«
Allmählich ließ bei den restlichen Leuten die Schockwirkung nach. Gleichzeitig versuchten sie, zu ihm vorzudrängen. Die ewig nörgelnde Frau wollte seine Hand kaum mehr loslassen. Jeder versuchte, ihm auf die Schulter zu klopfen, sich bei ihm zu bedanken. Erst die zügig eintreffende Polizei stellte wieder einigermaßen Ruhe und Ordnung her. Der Sergeant winkte Baker zu sich. Er legte seinen Arm um seine Schultern und sprach auf ihn ein.
»Mensch, Junge, hättest du nicht getroffen, wärst du möglicherweise von dem Kerl erschossen worden«, er stockte, »oder jemand anders.«
Baker antwortete, selbst überrascht von seinem Tun: »Wissen Sie, Officer, ich habe wie unter einem Zwang gehandelt. Als ich warf, wusste ich, dass ich treffen würde. Warum, weshalb? Keine Ahnung! In dem Augenblick hatte ich weder Angst vor der Waffe noch davor, daneben zu werfen.«
»Jetzt ist es gleichgültig«, beruhigte ihn der Polizist. »Du hattest den Mut und hast getroffen. Du bist der Held. Wer will dem Sieger Vorwürfe machen? Wäre es in die Hose gegangen, würde man dich steinigen. Du siehst, das Leben ist gerecht.«
Entgeistert schaute er den Mann in Uniform an.
»Ich will kein Held sein. Ich wollte eigentlich nur helfen. Was mich allerdings interessiert ist, was sich in dem Päckchen befindet, das vor dem Paar dort vorne auf dem Tisch liegt. Offensichtlich hatte es der Gangster darauf abgesehen.«
»Ein guter Tipp. Schönen Dank. Wir sollten mal nachschauen«, meinte der Polizist und drängte sich nach vorne, gefolgt von dem jungen Mann.
John Mandry und seine Tochter standen auf, als die zwei an ihren Tisch traten.
»Sie haben uns außerordentlich geholfen, junger Mann. Wir sind wegen dieses Buches extra aus England gekommen. Und nun sollte es uns wieder abgenommen werden.«
»Darf ich mal in das Päckchen schauen?«, meldete sich der Polizist.
»Selbstverständlich. Bitte gehen Sie damit vorsichtig um. Es ist ein sehr altes Exemplar, vermutlich sehr wertvoll. Die Seiten sind alle zusammengeklebt. Wollte man es gewaltsam öffnen, würde man es vermutlich schwer beschädigen.«
»Keine Angst. Dies ist nicht das erste Buch, das ich in die Hand nehme«, antwortete er mit leicht beleidigtem Unterton.
Eine schnelle Überprüfung ergab tatsächlich, es mit einem älteren Druckerzeugnis zu tun zu haben und keinesfalls, wie befürchtet, mit einem Päckchen Rauschgift.
»War wohl reiner Zufall, dass er zuerst auf Sie zugegangen ist«, kommentierte der Polizist das unbefriedigende Ergebnis und reichte Mandry das Päckchen zurück.
Spontan griff dieser in seine Jacketttasche und entnahm ihr mehrere Dollarscheine.
»Wenn ich mich damit bei Ihnen bedanken dürfte, junger Mann. Sie haben uns wirklich einen sehr großen Dienst erwiesen.«
»Genau!«, rief der junge Sportler, der ihn zum Football überreden wollte. »Sammeln wir für unseren Helden!«
Roy Baker wusste nicht, ob er ablehnen oder sich freuen sollte. Am Ende stand er mit weit über tausend Dollar da und entschied sich für die Freude am Geld. Ihm war bereits klar, was er damit anfangen würde.
»Habe ich Sie richtig verstanden, Sie kommen aus England? Ich wollte immer schon mal nach London. So wie ich es sehe, reicht mein Geld inzwischen, dass ich mir diesen Flug leisten könnte. Zusammen mit meinen Ersparnissen kommen sogar ein paar Wochen zusammen.«
»Kein Problem«, unterstützte ihn Jenny. »Für eine Unterkunft werden wir sorgen. Nicht wahr, Daddy?!«
Mandry zuckte mit den Schultern. In diesem Augenblick hätte er dem jungen Mann jeden Wunsch von den Lippen abgelesen.
»Klar. Gib ihm unsere Adresse und Telefonnummer. Er soll uns gerne besuchen.«
Erfreut nahm Baker von Jenny den Zettel entgegen.
»Wer weiß, vielleicht schaffe ich es in nächster Zeit. Im Augenblick muss ich ein paar private Dinge auf die Reihe bekommen.«
Zu einer weiteren Unterhaltung reichte es nicht mehr. Ins Restaurant drängten sich Reporter und Kameramänner, die das spektakuläre Ereignis gebührend würdigen wollten. Eine junge Frau hielt eine Videokamera in die Höhe.
»Wenn es Sie interessiert, ich habe den gesamten Überfall aufgenommen.«
Und ob es die Journalisten interessierte. Zehn Minuten später stand sie zwar ohne Kamera da, dafür aber um 5.000 Dollar reicher. Dies war gut das Vierfache dessen, was für den jungen Helden eingesammelt wurde. So sind die Spielregeln des Systems. Wirklich wichtig ist, was sich vermarkten lässt.
*
An diesem Abend bestand Hellworth erstmals seit Unzeiten darauf, sich das Fernsehprogramm anzuschauen.
»George, ich möchte mir die Nachrichten von CNN anschauen. Mir scheint, es haben sich wichtige Dinge ereignet.«
Der Butler hatte es aufgegeben, sich über die Ahnungen seines Chefs zu wundern, obwohl sie mit traumhafter Sicherheit zutrafen, wenn er sie äußerte.
Tatsächlich bekamen sie eine Kurzfassung des Überfalls mit. Sie sahen Mandry und seine Tochter, denen sogar zwei Sätze ins Mikrofon gestattet war. Und sie konnten den Wurf des jungen Mannes direkt und in Zeitlupe miterleben.
Aufgeregt wies Hellworth auf die Bilder.
»Schau genau hin. Er hat vorher gewusst, dass sich der Gangster von ihm abwenden würde. Ich sage dir, das ist unser Mann. Er ist einer der Wächter, die wir suchen. Es ist kein Zufall, dass er den beiden geholfen hat. Eigentlich galt sein Eingreifen dem Buch. Dafür nehme ich Wetten auf. Wir müssen versuchen, ihn zu uns nach England zu bekommen. Das würde uns ein gewaltiges Stück vorwärts bringen. Ruf Schonfield, unseren Anwalt an. Er soll versuchen, Mandry zu erreichen.«
Eine halbe Stunde später betrat George wieder den riesigen Raum.
»Wir sind zu spät dran. Unser Anwalt erreicht Mandry nicht mehr. Vermutlich sind sie bereits auf dem Weg zum Flughafen. Er hat eine frühere Maschine gebucht.«
Hellworth knurrte unwirsch.
»Verdammt, er macht es richtig, selbst wenn es mir gegen den Strich geht. Nur keine Zeit in New York verplempern. Wer weiß, was ihm dort alles zustoßen kann. Hoffen wir, er erreicht uns unbeschadet mit dem Buch. Das ist momentan das Wichtigste. Sorgen Sie dafür, dass ihm Geld überwiesen wird. Dieser Mann muss uns erhalten bleiben.«
Er wippte leicht in seinem Sessel. Der junge Mann ging ihm nicht aus dem Kopf. Wie konnte er an ihn herankommen? Schonfield musste wenigstens seine Adresse herausfinden.
*
Auch für Sheehy war es ein besonderes Bedürfnis, sich die aktuellen Bilder im Fernsehen anzuschauen. Das batteriegetriebene Gerät tat seinen Dienst im Freien.
»Verdammter Zufall«, fluchte er vor sich hin. »Wie kommt es, dass Mandry ganz offensichtlich auf einen der Wächter stößt? Irgendetwas ist dran an dem Kerl. In dieser Welt gibt es keine Zufälle. Dieser unbedeutende Detektiv. Ein verlassener Ehemann und Spieler. Was unterscheidet den bloß von seinen Mitmenschen?«
Wütend holte er sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.
»Lassitter, schalte sofort die CNN-Nachrichten an!«
»Wieso, was ist denn passiert?«
»Der Versuch einer deiner Leute, in New York an das Buch zu gelangen, ist offensichtlich in die Hose gegangen. Doch das ist momentan unwichtig. Mandry ist aller Voraussicht nach auf jemanden gestoßen, an dem ich äußerst interessiert bin. Ich muss diesen Mann zwischen die Finger bekommen. Sein Name ist Roy Baker. Er ist der mutige Mensch, der euren Überfall verhindert hat. Kümmere dich darum.«
Entsetzt unterbrach ihn Lassitter.
»Überfall? Ich weiß nichts von einem Überfall.«
»Das ist im Augenblick unwichtig. Besorge dir eine Kassette von den CNN-Abendnachrichten. Setze alles dran, an diesen Burschen heranzukommen. Ich verdopple den Preis. Verzichte auf Gewaltanwendung. Lass deinen Verstand sprechen. Um das Buch kümmern wir uns in London. Mandry wird uns in die Arme laufen. Davon ist auszugehen.«
Sheehy legte ohne weiteren Gruß auf.
»Hoffentlich überfordere ich diesen Idioten nicht«, murmelte er vor sich hin. »Wenn ich doch könnte, wie ich wollte.«
*
Dem Geldverleiher fiel vor Erstaunen die Kinnlade herunter. Zehn Millionen in Gold für einen Menschen. Er fühlte sich wie in einem Tagtraum. Wenn er sich vorstellte, dass er eigentlich nur einen alten Mann bestehlen wollte, so hatte sich seine Situation in kürzester Zeit deutlich zum Besseren gewendet. Mit dem vielen Geld würde er sich zur Ruhe setzen und sich seinen größten Wunsch erfüllen können, ein französisches Restaurant in Soho aufzumachen. Er musste alles daransetzen, diesen jungen Mann nach London zu holen. Koste es, was es wolle. Aufgeregt dachte er nach. Er benötigte unbedingt eine Verbindung zu Forsythe. Energisch griff er zum Telefon. Er hatte Glück.
»Hallo, Boss, gut dass ich Sie spreche. Mir ist dieser Mandry durch die Lappen gegangen. Nach dem Überfall auf das Restaurant hat er sich in Luft aufgelöst. Ich vermute ihn im Hotel. Da traue ich mich jetzt nicht hinein. Stellen Sie sich vor, er erkennt mich.«
»Mandry ist zurzeit unwichtig. Den greifen wir uns in London. Der nimmt bestimmt den nächsten Flieger zurück. Schätzungsweise hat der erst mal von New York die Nase voll. Wichtiger ist etwas anderes. Ich will diesen jungen Mann, der den Überfall verhindert hat, in London haben. Lade ihn ein.«
»Wie soll ich das anstellen? Name und Adresse sind mir unbekannt. Und wenn ich ihn aufgetrieben habe, meinen Sie, der kommt einfach so mit mir?«
»Nein, da könntest du richtig liegen. Ich werde dir Unterstützung besorgen. Warte auf meinen nächsten Anruf.«
Er spürte, Forsythe war mit dieser Aufgabe völlig überfordert. Er musste einen Spezialisten beauftragen. Und er wusste bereits, wer dafür infrage kam: seine Nichte Lucie. Die würde sich diesen jungen Burschen greifen. Da war er sich sehr sicher. Sie kam bei Männern jeden Alters an, verfügte über gute Nerven und benötigte ständig Geld.
*
Unruhig ging Mandry in seinem Hotelzimmer auf und ab. Seine Tochter saß bereits wieder selbstvergessen vor dem Fernseher und versuchte, den Computer im Tennis zu schlagen. Ihn beschäftigte dagegen die Frage, wie er das Buch wohlbehalten zu seinem Auftraggeber schaffen konnte. So viel verstand er inzwischen: Der Überfall galt eindeutig ihnen und damit dem Buch. Offensichtlich gab es neben Hellworth andere, die sich dafür interessierten. Und diese waren gefährlich, schreckten nicht mal vor einem Gewaltverbrechen zurück. Er schüttelte voller Unverständnis den Kopf. Wie konnte man solch einen Blödsinn anstellen? Ein bewaffneter Raubüberfall für ein Buch.
Was hatte es damit auf sich? Verkörperte es einen besonderen Wert? Hätte der Antiquitätenhändler es unter solchen Umständen an ihn sozusagen als Draufgabe weitergereicht? Wohl kaum! Schließlich hatte der mehr Ahnung davon als sie. Lag darin etwas Wertvolles verborgen?
Der Versuchung, es zu öffnen widerstand er mannhaft.
»Die bequeme Einkommensquelle muss unter allen Umständen erhalten bleiben«, hämmerte er sich in sein Hirn. Die Angst, materiell wieder dort zu landen, wo er herkam, besiegte die aufflammende Neugierde.
Sie würden in drei Stunden im Flieger sitzen. Bis dahin benötigte er eine zündende Idee. Nach einem kurzen Telefonat mit der Rezeption lehnte er sich zufrieden zurück. Das erste Teilstück hätte er bald zurückgelegt. Er klatschte in die Hände, bis Jenny zu ihm herüberschaute.
»Komm, Schatz, Koffer packen. Es geht wieder nach Hause.«
Enttäuscht musste sie ihr Spiel abbrechen. Ihre Chancen standen gut. Klar, bei dem niedrigen Level. Ihre Fahrt durch den Central Park würde sie auf einen nächsten Besuch verschieben müssen. Das berührte sie nicht weiter. Junge Menschen forderten schnell und vergaßen im gleichen Tempo.
Selbst im Flugzeug wollte sich seine Nervosität nur langsam auflösen. Die Fahrt vom Hotel bis zum Airport war ohne weitere Zwischenfälle verlaufen. So oft er sich umschaute, es schien sie niemand zu verfolgen. An keiner der vielen Straßenkreuzungen wurde der Versuch unternommen, sie aufzuhalten. Im Flughafen verlief ebenfalls alles glatt. Sie checkten ein. Niemand störte sich daran, dass sie ihr Buchpaket bei sich behielten.
Vor ihnen saß ein älteres Paar. Der rosa Farbton ihrer Haare, der schwere Schmuck an Hals und Fingern, dessen Gewicht sie nach unten zu ziehen drohte, die groß karierten Hosen ihres Ehemannes - alles deutete auf Amerikaner hin, die sich auf den Weg in die Welt ihrer Vorfahren begaben.
Jenny blätterte vorsichtig ihr neu erworbenes Buch durch und summte gleichzeitig zu einer Melodie, die sie über den Kopfhörer einfing.
Mandry war froh über die Erfindung dieser kleinen Knöpfe im Ohr. Zu Hause musste er die volle Lautstärke ihrer Superboxen ertragen. Dort verursachten Kopfhörer nach ihrer Aussage Ohrenschmerzen. Außerdem würden sie ihrer Musik keineswegs gerecht. Diese klang am besten, wenn die Zimmerwände im Rhythmus mitvibrierten. Selbst eine Flucht in Nachbarräume brachte wenig. Der Lärm schwappte durch jede Ritze zu ihm herüber. Hilfe von nebenan gab es keine. Linker Hand wohnte eine Familie mit zwei Kindern, die es von der Lautstärke her mit Jenny bequem aufnahmen. Die ältere Dame rechts von ihnen, Mrs. Hill, war schwerhörig. Außerdem hatte sie sein Kind so tief ins Herz geschlossen, dass sie vermutlich das Haus hätte anzünden müssen, um so etwas wie Kritik zu erfahren. Er selbst hatte die ergebnislosen Diskussionen mit seiner Tochter über die Lautstärke und die Richtung ihres Musikgeschmacks aufgegeben. Wenn immer er Gefahr lief, sich an einen Interpreten zu gewöhnen, war dieser gerade außer Mode gekommen. An den jeweiligen Nachfolgern, die Jennys Herz erfreuten, fand er zunehmend weniger Gefallen. Seufzend nahm er zur Kenntnis, nicht mehr den musikalischen Geschmack der jungen Leute nachempfinden zu können.
Wie war das eigentlich zu seiner Zeit? Im Prinzip wiederholte sich die Geschichte. Jeder ab dreißig galt als verkalkt und konnte seiner Musik kaum etwas abgewinnen. Zufrieden lächelnd schlief er ein, gespannt darauf, was sie am Londoner Flughafen Heathrow erwartete. Dazwischen gab es leckeres Essen und noch besseres Bier. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte keine Einwände gegen einen wöchentlichen Flug nach New York gehabt. Hauptsache first class.