Jörg von Bargen

So far away

Thriller



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Ein Gefühl der Verzweiflung und Ohnmacht ergriff immer stärker Besitz von Payton. Um nicht untätig herumzusitzen, machte er sich mit Curtis nochmals auf den Weg zum Clubhaus der Gang. In einem halben Tag würde es zum großen Showdown kommen. Bei optimistischer Auslegung mit ungewissem Ausgang. Bei realistischer Betrachtung lief Vince Gefahr, durch ein unbedachtes Wort, eine zufällige Geste seine besondere Rolle, die er spielte, aufzudecken. Malones vermutliche Reaktion hierauf vorherzusagen, bedurfte keiner nennenswerten Intelligenz.

Dunkel, wie ausgestorben lag das Haus vor ihnen. Kein Motorrad stand im Eingangsbereich, nur die Unordnung war geblieben. Sie wollten schon wegfahren, als sie in einem der Fenster den Lichtkegel einer Taschenlampe wahrnahmen. Jemand schien sich in dem Haus aufzuhalten und wollte dabei nicht entdeckt werden. Vorsichtig schlichen sie zur Eingangstür, ihre Pistolen in der Hand. Die Tür stand einen Spalt auf. Langsam öffneten sie sie vollständig und vermieden dabei jedes Geräusch. Im Erdgeschoß entdeckten sie nichts. Curtis deutete ihm an, daß sich das Licht der Taschenlampe im Obergeschoß der Treppe näherte. Die Stufen knarrten, als jemand leise herunterkam.

Kaum erreichte sie das Erdgeschoß, stürzte sich Curtis auf die Person und brachte sie zu Fall. Payton griff sich die Taschenlampe und leuchtete den späten Gast an. Vor ihm lag eine junge Frau, die halb von Curtis begraben, leise vor Schmerz stöhnte. Payton half seinem Mann hoch. Danach schalteten sie die normale Beleuchtung im Haus ein. Offensichtlich war die Frau losgeschickt worden, Schlafsäcke und Lebensmittel zu holen, da die Entführer nicht mit einer Übernachtung rechneten.

Ohne auf ihre Schmerzen Rücksicht zu nehmen, riß Payton das Mädchen hoch. »Wohin hat Malone den Mann gebracht? Spuck es aus!«

Mühsam gewann sie ihre Fassung zurück. »Du kannst mich mal, Bulle, ich will meinen Anwalt sprechen.«

Payton schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. »Noch mal, wo sind deine Freunde mit meinem Freund?«

Hämisch schaute sie ihn an. Ohne Vorwarnung bespuckte sie ihn und traf gut. »Leck mich.«

Er nahm gelassen sein Taschentuch und wischte damit die Spucke aus dem Gesicht. Dann packte er sie an ihren langen Haaren und zog sie vor sich her in eines der Zimmer. Dort warf er sie auf eine Couch.

»Auch damit kriegst du nichts aus mir raus«, bemerkte sie höhnisch. »Du kannst mir nichts antun, was ich nicht schon längst hinter mir hätte. Da mußt du dir schon was Neues einfallen lassen.«

Payton beugte sich über sie und fesselte ihre Hände mit ihrem eigenen Gürtel auf den Rücken.

»Du willst es also auf die harte Tour. Dein Wunsch sei mir Befehl. Aber für wie bescheuert hältst du mich, daß ich oder mein Partner dich anrühren könnten. Soviel Seife gibt es hier gar nicht, die wir danach bräuchten, um uns anschließend zu säubern.«

Wütend versuchte sie wieder, sein Gesicht zu verunzieren, nur diesmal paßte er auf.

Angestrengt überlegte er, wie er ihr die Wahrheit entlocken konnte. Schließlich kam er zu einem Entschluß.

»Curtis, hinten im Wagen liegt ein Abschleppseil, bitte sei so nett und hol es mir.«

Er schaute sich um. Endlich fand er eine passende Stelle in der Decke.

»Das könnte funktionieren.« Die nächsten Worte richtete er mit Nachdruck an die Frau. »Nimm zur Kenntnis: Meine Zeit ist kurz. Ich habe keine Ahnung, was deinen Freunden noch einfällt. Also beschwere dich nicht, sollten dir meine Methoden nicht gefallen.«

Unsicher schaute sie zu ihm hoch. Dann entschied sie sich, die coole Nummer durchzuhalten.

»Du traust dich doch nicht, du geleckter Knallkopf. Ihr seid nichts weiter als Schlips tragende Weicheier. Meine Freunde sind da von einem ganz anderen Kaliber.«

Payton nahm die Worte gelassen hin.

»Was glaubst du, was hinter mir liegt? Zu einer Zeit, als deine Mutter dir Windeln anlegte, habe ich die ersten Menschen getötet. Gegen meine Vergangenheit sind deine bisherigen Erlebnisse ein Fliegenschiß. Laß dich überraschen. Letztendlich hast auch du nur ein Leben. Wollen mal sehen, wie sehr du daran hängst. Im wahrsten Sinne des Wortes.«

Sie versuchte aufzustehen. Er stieß sie jedoch unsanft zurück.

»Wenn du rumzicken willst, mußt du nur Bescheid sagen. Glaube bloß nicht, daß hier jemand Rücksicht auf dein Geschlecht nimmt. Sollte unserem Freund etwas geschehen, möchte ich in allem stecken, nur nicht in deiner Haut.«

Zunehmend klang sie unsicherer. »Was hast du vor?«

»Laß dich überraschen. Ich muß allerdings zugeben, meine Idee ist nicht sonderlich nett. Wenigstens nicht für dich.«

Sie begriff, es mit einem Gegner zu tun zu haben, der nicht nur drohte. Ein Gefühl der Angst stieg in ihr hoch und begann sie zu würgen. Einen Moment später betrat Curtis wieder das Zimmer. In der Hand hielt er das Seil.

»Das dürfte deinen Vorstellungen entsprechen, Frank, und was nun?«

Payton nahm es prüfend in die Hand. »Also richtig stilecht wird das nicht, aber es sollte dennoch funktionieren.«

Dann schnappte er sich einen Stuhl und stellte ihn unter einen Haken, der aus der Decke herausschaute. Hieran befestigte er das Seil und belastete es mit seinem Gewicht. Es hielt.

»Komm mit der Kleinen zu mir, ich möchte Maß nehmen.«

Curtis griff nach dem sich sträubenden Mädchen. Diese mußte überraschend die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß der Mann ausgesprochen stark war. Ohne weitere Probleme bugsierte er sie trotz ihres Widerstandes zu Payton. Muskeln bildeten sich nicht nur unter Lederjacken.

Der paßte die Länge des Seils an ihre Körpergröße an und zog es durch die bereits vorhandene Öse, so daß eine Schlaufe entstand.

Mittlerweile verstand sie sein Vorhaben. Verzweifelt schrie sie ihn an: »Du willst doch nicht, das wirst du nicht tun! Das traust du dich nie!«

Payton sagte zunächst kein Wort. Er ruckte erneut am Seil, es hielt nach wie vor. »Letzte Frage: Willst du mir sagen, wo unser Freund ist, oder nicht?«

Sie spuckte Gift und Galle. »Einen Scheißdreck werde ich. Mach, was du willst.«

»Keine Angst, Liebling, das tue ich auch.« Unbewegt instruierte er Curtis. »Feßle ihre Beine. Die Arme müssen fest hinter ihrem Rücken sitzen.«

Er legte ihr die Schlinge um den Hals und beließ das Seil auf einer Länge, daß sie gerade noch auf den Zehenspitzen stehen konnte. Ein Kloß in ihrem Hals verhinderte ein lautes Schreien. Aus ihrer Kehle drang ein angespanntes Röcheln. Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Er löste die Fußfesseln, um ihr einen besseren Halt zu geben.

»Je nach Kondition geht es langsamer oder schneller. Du mußt aufpassen, dadurch, daß deine Hände gefesselt sind, läufst du schneller Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren. Du kannst es mit den Armen nicht ausbalancieren. Ich weiß, es ist eine Sauerei, jemanden so jämmerlich krepieren zu lassen, aber du hast deine Chance gehabt. Wir bleiben noch ein paar Minuten, dann müssen wir gehen. Ich gebe zu, wir sind für so etwas zu sensibel. Wir sind keine Spanner. Nicht, daß du uns für Sadisten hältst. Das wäre mir dann doch unangenehm.«

Kurze Zeit später winkte er Curtis zu, ohne weiter auf das Mädchen zu achten.

»Komm, wir gehen. Wir müssen anderweitig sehen, Vince zu finden, unsere Zeit wird immer knapper.«

Sie standen schon in der Tür, als ihr Widerstand brach. Sie stieß die Worte brockenweise heraus.

»Halt. Ich will es euch sagen. Macht mich los. Schnell.«

Sie kehrten zu ihr zurück. Payton stieg auf den Stuhl und verlängerte die Leine, so daß sie voll auf ihren Füßen stand.

»Also?«

Ohne weitere Widerworte nannte sie die Adresse, eine adrette Wohngegend in einem Vorort von Standsfield.

Payton instruierte sie voller Ernst: »Solltest du gelogen haben, machen wir exakt dort weiter, wo wir aufgehört haben.«

Er löste das Seil von ihrem Hals, durchschnitt ihre Handfesseln und trieb sie geradezu nach draußen. Dort befahl er ihr, sich in den Fond des Wagens zu legen. Sie fuhren zu ihrer altbekannten Stelle. Er fesselte sie mit Handschellen um einen Baum und verklebte ihren Mund.

»Gnade dir Gott, du hast gelogen.«

Ohne weitere Worte ließen sie das Mädchen zurück.

Auf dem Weg zu der angegebenen Wohnung fragte Curtis Payton: »Was wäre mit ihr geschehen, hätte sie nicht geredet?«

Payton schaute den jungen Mitarbeiter leicht verwundert an. »Dumme Frage. Sie wäre erstickt. Bluffen kannst du beim Poker. In unserem Gewerbe mußt du dich konsequent durchsetzen, oder du bist verloren. Sie hat nur geredet, weil sie begriff, daß sie ansonsten jämmerlich verreckt wäre. Sie fühlte, wie ernst es mir gewesen ist. Nur deshalb haben wir jetzt eine Chance, Vince zu finden.«

Curtis begann sich zu fragen, ob er wirklich auf der richtigen Hochzeit tanzte. Seine Vorstellungen von Rechtmäßigkeit und Gesetzestreue wichen in einigen wesentlichen Positionen von denen Paytons ab. Dieser spürte die Nachdenklichkeit des jungen Mitarbeiters.

»Randy, wenn es dir zu viel wird, mußt du es mir sagen. Niemand zwingt dich, unsere Prinzipien zu übernehmen. Wir sind nicht bei der Mafia. Du kannst jederzeit ausscheiden. Denk darüber nach. Doch jetzt steht die Suche nach Vince im Vordergrund. Hoffen wir, daß es noch nicht zu spät ist.«