Franz Brix

Dynamisierung der Wirtschaft durch Dezentralisation
mittels moderner Informationstechnologie

Kompatimente als Gegengewichte zur Welt AG


Einleitung

Wie dynamisiert man ein soziales System? Indem man das System dezentralisiert, in Cluster, d.h. in zellulare soziale Subsysteme aufteilt. Wo gute Voraussetzungen vorhanden sind, werden dynamische Menschen angezogen, es verbreitet sich eine optimistische Grundhaltung, schöpferische Intelligenz und Energie werden hineingepumpt, Innovationen durchgesetzt, auch in Opposition zu dem trägen Durchschnitt.

Ein Beispiel aus der Natur: Hat man die Aufgabe, eine Feldfläche in Brand zu setzen, ist dies gleichzeitig für die gesamte Feldfläche unmöglich. Man beginnt an den Punkten, an denen die Voraussetzungen optimal sind. Brennen diese Cluster, so breitet sich der Brand nach einiger Zeit über die Gesamtfläche aus.

Die Dynamisierung der Wirtschaft ist analog durch die Organisation neuartiger, regional flächendeckender Cluster, »Kompartimente«, möglich, welche zu intensiven binnenwirtschaftlichen Wirtschaftskreisläufen innerhalb der Kompartimente und zwischen diesen führen und welche das im jeweiligen Kompartiment vorhandene wirtschaftliche Potential optimal nutzen. Ist anfangs in Einzelfällen die Kompartimentskonzeption erfolgreich, wird sie nachgeahmt und wird flächendeckend.

Deutschland befindet sich in einer ernsten Strukturkrise. Seit 35 Jahren steigt die Arbeitslosigkeit stetig, Rezession 1967: 0,6 Millionen Arbeitslose, Rezession 1976: 1,2 Millionen Arbeitslose, Rezession 1980: 2,4 Millionen Arbeitslose, Ende 2002: mehr als 4 Millionen Arbeitslose, Anfang 2005: 5,1 Millionen Arbeitslose. Rechnet man ca. 990.000 Arbeitslose in Schulungsmaßnahmen der BA, 210.000 Arbeitslose in Maßnahmen der Kommunen, 990.000 Arbeitslose in Vorruhestand, ca. 120.000 Kurzarbeiter und geschätzt 1,8 Millionen Arbeitsfähige dazu, welche die Arbeitssuche vorübergehend aufgegeben haben, so sind ca. 9 Millionen Arbeitsfähige ohne Arbeit. Dieser Trend ist extrem besorgniserregend. Das Wirtschaftswachstum ist völlig unbefriedigend. An einen nennenswerten Abbau der Arbeitslosigkeit durch Wirtschaftswachstum ist nicht zu denken. Die Arbeitsmarktpolitik ist mit ihren bisherigen Methoden am Ende.

Die deutsche Wirtschaft ist extrem exportlastig. Der Export in erster Linie in die USA ist als Konjunkturmotor labil. Die USA-Wirtschaft ist eine große, aber keine starke Wirtschaft. Nach dem Platzen der Aktienblase droht in den USA das Platzen der Immobilienblase. Sollten eines Tages China und Japan ihre Dollaranleihen auf den Markt werfen, könnte dies zu einem freien Fall des Dollarkurses und zur Explosion der in Dollar abgerechneten Öl- und Rohstoffpreise führen und dies wiederum eine Weltwirtschaftskrise auslösen. (Lenin: »Wer die Kapitalisten vernichten will, muß ihre Währung zerstören.«) Die exportlastige deutsche Wirtschaft wäre besonders stark betroffen.

Die Staatsverschuldung beträgt, rechnet man die Renten- und Pensionslasten analog zur Privatwirtschaft als Verbindlichkeiten des Staates gegenüber den Rentenversicherten und dem öffentlichen Dienst, annähernd 270% des jährlichen Bruttosozialprodukts. Die Kommunen sind pleite. Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung befinden sich in immer größeren finanziellen Schwierigkeiten; die Sozialsysteme bisheriger Art sind längerfristig nicht finanzierbar. Möglicherweise steht Deflation vor der Tür. Die Bevölkerung überaltert kumulativ. Die Konsumneigung ist negativ.

Deutsche Zentralbankpolitik ist seit Euroland nicht mehr möglich. Fiskalpolitik scheitert an der Überschuldung der öffentlichen Hand. Deutschland droht das Schicksal Japans, d.h. eine Jahrzehnte lange strukturelle Krise ohne greifbaren Ausweg. Das Grundproblem sind gravierende Mängel der Wirtschaftskreisläufe. Die nachfolgende Konzeption »Dynamisierung der Wirtschaft durch Dezentralisation mittels moderner Informationstechnologie« bietet möglicherweise einen Ausweg.

Die derzeitige Skepsis gegenüber den Zukunftschancen der neuen Informationstechnologie ist unbegründet. Wir erleben einen Systemumbruch (in der Terminologie der Evolutionstheorie: Symmetriebruch) wie zur Zeit der Erfindung der Buchdruckerkunst. Die neuen Generationen der Informationstechnologie, insbesondere die künftige Mobilfunk-Generation UMTS bzw. deren Nachfolgetechnologien, gestatten die Bildung völlig neuartiger regionaler Informations-, Kooperations- und Marktmacht-Organisationen der Bürger einer Region, d.h. von »Kompartimenten«. Die neue Informationstechnologie wie UMTS schafft damit erstmals in der Geschichte die Voraussetzungen einer modernen, stark dezentral organisierten, fluktuierenden, aber infolge besonders intensiver regionaler Wirtschaftskreisläufe stabilen Wirtschaft.

In den Jahren nach 1933 wurde die Arbeitslosigkeit schnell und nachhaltig beseitigt. Mit Kompartimentierung dürften ähnliche Wirkungen auf den Arbeitsmarkt erzielbar sein ohne die damaligen negativen Nebenwirkungen. Der Marktmechanismus erhält eine neuartige, dynamische, positive Komponente. Wirtschafts- und Sozialpolitik muß nicht mehr flächendeckend, sondern kann stark dezentral durchgeführt werden und kann individuell auf die jeweiligen regionalen Gegebenheiten der Kompartimente abgestellt werden. Eine Zentralbankpolitik beispielsweise, die für einen Staat wie Irland mit 5% Wachstum und 5% Inflation angemessen ist, ist für viele Regionen in Deutschland mit 0% Wachstum und 1% Inflation Gift. Kompartimente können hier gegensteuern.

Was ist ein »Kompartiment«? Kompartiment bedeutet im allgemeinen Sinn ein abgeteiltes Feld. Hier bedeutet Kompartiment ein wirtschaftliches und kulturelles Regionalzentrum mit seinem Umland. Ein Kompartiment bilden kann z.B. eine mittelgroße Stadt mit ihren Einkaufszentren, Ladengeschäften, Hotels, Restaurants, kulturellen Einrichtungen wie Kino, Theater, Museen, Ausstellungen, höheren Schulen, Volkshochschule, Fußballclub einer höheren Spielklasse etc., welche von den Bewohnern der Stadt und der umliegenden Gemeinden zum Einkaufen, zur Weiterbildung und zum Vergnügen besucht wird. Ein Kompartiment darstellen kann auch ein dominierender Distrikt einer Metropole mit Einkaufszentren etc. gemeinsam mit den angrenzenden Distrikten und den Gemeinden der angrenzenden Landkreise. Kompartimentartige Gebilde sind z.B., sieht man von der Eigenstaatlichkeit ab, Luxemburg, Liechtenstein, die Kantone der Schweiz oder auch Monaco, ausnahmslos Gebiete mit einer sehr wohlhabenden Bevölkerung. Die Kompartimentsgebiete müssen unabhängig von Stadt- Landkreis- und Ländergrenzen sein, in gewissem Umfang soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einheiten bilden und über ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl der Bewohner verfügen. Die Bildung von Kompartimenten muß deshalb durch Selbstorganisation von den Bewohnern aufgrund ihrer Vorlieben erfolgen. Denkbar ist auch Kompartimentierung durch ethnische Gemeinschaften einer Region, d.h. die Existenz mehrerer ethnisch orientierter Kompartimente in einer Region nebeneinander. Die Grenzen der Bundesländer und auch der Städte und Landkreise lassen sich aus historischen und politischen Gründen kaum verändern. Der Großraum Frankfurt/Offenbach/Aschaffenburg/Wiesbaden beispielsweise wird von drei Ländergrenzen durchschnitten. Schon die Eingemeindung von Randgemeinden in eine Stadt stößt auf riesige Schwierigkeiten. Die Neuordnung der Gebietskörperschaften in Anpassung an die wirtschaftlichen Erfordernisse ist absolut illusorisch. Privatwirtschaftliche, flexibel und anpassungsfähig organisierte Kompartimente können dagegen politische Grenzen übergreifend tätig sein. Sie bilden in gewissem Umfang privatwirtschaftliche Gegengewichte zu den öffentlichen Gebietskörperschaften.

Die Funktion eines Kompartiments ist die Entwicklung eines hohen Informationsniveaus und koordinierter Nachfrage-Marktmacht der Residenten des Kompartiments. Diese bilden Gegengewichte gegenüber dem Informationsniveau und der Marktmacht der marktbeherrschenden Unternehmen, der Einflußnahme von partikulare Interessen vertretenden Interessenverbände und bürokratischer Gängelung. Unter Residenten sind nicht Residenten im historischen Sinn, beispielsweise Monarchen, sondern in Anlehnung an den angelsächsischen Sprachgebrauch die Bewohnern der Region, hier des Kompartiments zu verstehen. Die Bürger werden umfassend wirtschaftlich informiert. Das derzeitige ungleiche Informationsniveau zwischen Anbietern und Nachfragern wird dadurch beseitigt. Durch Information über günstige Preis-Leistungs-Verhältnisse des Angebots wird die Nachfrage der Residenten koordiniert. Es entstehen dadurch Symmetrien der Marktmacht zwischen Anbietern und Nachfragern und aufgrund dessen reelle Preis-Leistungs-Verhältnisse. Durch optimale Markttransparenz wird Marktmacht werbeintensiver Großunternehmen reduziert, mittelständischen Unternehmen im Kompartiment der Marktzugang ermöglicht und damit die regionale Wirtschaft gefördert. Dadurch werden die regionalen Wirtschaftskreisläufe verstärkt und die konjunkturelle Entwicklung der Volkswirtschaft wird verstetigt. Bürokratischer Aufwand wird reduziert. Die Einkommens- und Vermögensverteilung wird gleichmäßiger und entspricht besser den Vorstellungen der Bevölkerung. Durch allgemein verbreitete Einkommen der Residenten aus Vermögen wird die Nachfrage nach Konsumgütern weniger von Erwartungen hinsichtlich des künftigen Arbeitseinkommens abhängig und es wird eine optimistische Grundhaltung erzeugt. Die Wirtschaftskreisläufe werden damit stabil. Es entsteht ein ausgewogenes Verhältnis zwischen eher exportabhängigen Unternehmen und in erster Linie die Binnenmärkte bedienenden, krisensicheren Klein- und Mittelunternehmen.

Wie entstehen Kompartimente? Ähnlich wie die Entstehung der Gewerkschaften im 19. Jahrhundert, als dafür Bedarf entstanden war. Die von interessierten Gruppen, möglicherweise NGOs, getragenen Manager der Kompartimentsorganisationen, kurz die Kompartimente, bauen unter Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie regionale Datenbanken auf. In den Datenbanken der Kompartimente wird schrittweise das gesamte den Residenten zugängliche Waren- und Leistungsangebot der Wirtschaft und der öffentlichen Hand gespeichert. Dieses wird den Residenten und den regionalen Unternehmen mit Hilfe der künftigen Mobilfunk-Generation UMTS oder ähnlicher Systeme mit Preisen, Testergebnissen, konkurrierenden Waren und Leistungen, Substitutionsprodukten usw. zugänglich gemacht. Insbesondere wird im Interesse der regionalen Infrastruktur auf die regionalen Anbieter hingewiesen. Moderne Technik ermöglicht es beispielsweise, Testergebnisse, etwa wie sie in der Zeitschrift test der Stiftung Warentest auf einer Seite abgedruckt sind, auf dem Display eines Handys vernünftig darzustellen und zugleich Übertragungszeit zu sparen. Die zu organisierenden Kompartimente agieren als neuartige, eigenständige, privatwirtschaftliche, ökonomische Organisationen zweckmäßigerweise in Rechtsformen von Vereinen, Genossenschaften oder auch Aktiengesellschaften, gegebenenfalls unter Mitwirkung der öffentlichen Gebietskörperschaften.

Ein verbreitetes Phänomen nach wie vor ist die emotionelle Ablehnung der Globalisierung durch einen Teil der Bevölkerung. Globalisierung der Informationen ist in jeder Beziehung vorteilhaft und deshalb notwendig. Die Globalisierung des Güter- und Leistungsverkehrs bisherigen Stils wirkt ambivalent. Liberalisierung des Güter- und Leistungsverkehrs ist insgesamt positiv zu beurteilen. Liberalisierung des Welthandels bedeutet Abbau nationaler Monopole und Oligopole, bedeutet Erhöhung des Wettbewerbs der Unternehmen und bedeutet, infolge Marktzugang zu den reichen Industrieländern, grundsätzlich erhöhte Kaufkraft und erhöhter Lebensstandard der Ärmsten unter der Bevölkerung der Entwicklungsländer. Allerdings wird die Globalisierung zur Zeit meist einseitig im Interesse der Industrieländer und deren internationale Konzerne betrieben. Den Unternehmen in Entwicklungsländern wird der Marktzugang zu den Industrieländern verwehrt. Häufig wird den regionalen Unternehmen bei Öffnung der Märkte aufgrund des Zwangs des Finanzkapitals keine Zeit gelassen, sich durch Rationalisierung und Technisierung dem globalen Wettbewerb anzupassen. In den Industrieländern wirkt sich Globalisierung häufig nachteilig auf die Lebensverhältnisse des Mittelstandes und der oberen Unterschicht aus, insbesondere durch Verlagerung von Produktion in Niedriglohnländer. Die Konzerne verlagern ihre Gewinne in Steueroasen.

Global agierende Unternehmen neigen dazu, Verdrängungswettbewerb zu betreiben. Sie nutzen überhöhte Gewinne aus Regionen, in denen sie marktbeherrschend sind, um in anderen Regionen ausschließlich regional agierende Unternehmen durch Waren- und Leistungspreise unter den Gestehungskosten aus dem Markt zu verdrängen.

Globalisierung ist heute Realität. Bloßes Opponieren gegen die Globalisierung bringt nichts. Die Globalisierung läßt sich nicht rückgängig machen. Sie läßt sich jedoch entschärfen. Die Kompartimentskonzeption ist hierzu eine realisierbare Möglichkeit. Das Hauptproblem ist nicht die Globalisierung an sich. Es stört keinen, wenn ein Klein- oder Mittelbetrieb global tätig ist. Ein zu lösendes Hauptproblem ist die Verhinderung des Entstehens globaler Monopole und Oligopole. Dies erfordert Gegengewichtsbildung. Stabile Strukturen, ganz gleich welcher Systeme, setzen Gegengewichtsbildung voraus. Ein anderes Problem ist die Kontrolle der internationalen Kapitalströme. Die Tobin-Steuer, d.h. die Umsatzbesteuerung des internationalen Kapitalverkehrs, insbesondere der Devisenspekulation, erfordert globalen Konsens und ist deshalb in einem überschaubaren Zeitraum nicht durchsetzbar. Durchsetzbar sind hingegen Kompartimentsgebühren auf den die Kompartimentsgrenzen überschreitenden Zahlungsverkehr. Ein weiteres Problem ist der Mißbrauch des internationalen Aktienwesens durch korrupte Vorstände und Großaktionäre und die damit verursachten Einschnitte in das Vermögen und die Altersversorgung der Bevölkerung. Dies kann durch objektive Information und Koordination der Kleinaktionäre unterbunden werden. Ein anderes Problem ist die Unterbindung der Steuerflucht der Konzerne. Dies erfordert politische Einflußnahme oder auch Boykott. Ein weiteres Problem ist die staatliche Überregulierung. Diese ist einerseits durch Selbsthilfe und andererseits durch Koordination des Wahlverhaltens zu reduzieren. Das entscheidende zu lösende Problem ist der Schutz und die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe und damit Verhinderung von Arbeitslosigkeit und Stabilisierung der Konsumentennachfrage in der Region. Einer Region mit ausgeglichenen sozialen Verhältnissen, stabilen regionalen Wirtschaftskreisläufen und Elastizität infolge geringer Bürokratie kann eine Weltwirtschaftskrise wenig anhaben. Globalisierte Weltwirtschaft und Regionalwirtschaft lassen sich mit der Organisation von Kompartimenten unter einen Hut bringen.

Die labile Wirtschaftslage ist nicht nur ein deutsches, sondern ein internationales Problem. Die Globalisierung des internationalen Finanzkapitals schaffte universelle Unsicherheit. Schocks werden zwischen den Regionen der Weltwirtschaft immer schneller übertragen. Das Vertrauen der Investoren im EURO-Raum und insbesondere in Deutschland wurde bei der jüngsten Rezession von der schwachen Entwicklung der US-Wirtschaft überraschend stark in Mitleidenschaft gezogen. Bilanzskandale und Insideraffären auf den Finanzmärkten haben das Vertrauen der Menschen in die amerikanische und internationale Wirtschaft gestört. »Globalisierung von unten - entwaffnet die Finanzmärkte«, so Attac.

Die führenden Industrienationen, die USA, die EU und Japan, befanden sich Anfang 2002 in einer Rezession oder am Rande einer Rezession. Die »Wirtschaftswoche« führte dazu aus: Menetekel Japan. Mit Zinssenkungen und Konjunkturprogrammen kämpfen die USA und Europa gegen die Rezession - bisher vergeblich. Droht nun die gleiche Spirale aus Deflation und Wachstumsschwäche wie in Japan?

Die EU muß die Führungsrolle bei der Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise übernehmen, fordert die UN-Wirtschaftskommission für Europa (UN/ECE) in ihrem Halbjahresbericht I/2001. Die USA seien wegen des Leistungsbilanzdefizits, der Überkapazitäten der amerikanischen Unternehmen und der hohen Verschuldungsrate der Privathaushalte und Unternehmen zur Übernahme der Führungsrolle zur Zeit nicht geeignet. Es wird vermutlich Jahre dauern, bis die amerikanische Wirtschaft die derzeitigen Ungleichgewichte überwunden hat. Angesichts der gegenwärtigen Schwäche der USA und Japans müßten die entscheidenden Anstöße für die Überwindung der Wirtschaftskrise aus Brüssel kommen.

Die US-Wirtschaft hat sich in den Jahren 2003 und 2004 als stabil erwiesen. Der Konsum steigt, da die Immobilienpreise in den USA steigen und die Konsumenten sich reicher fühlen. Platzt in den USA nach der Aktienblase auch die Immobilienblase, wird die Rezession um so schlimmer ausfallen, solange die geschilderten grundsätzlichen strukturellen Probleme, in erster Linie Überschuldung der privaten Haushalte, aber auch das Leistungsbilanz- und das Haushaltsdefizit nicht gelöst sind. Verschuldung, ob durch Private oder Unternehmen oder auch Staaten, trifft eines Tages auf ihre Grenzen, sowohl für den Kreditnehmer als auch für den Kreditgeber. Eine Rezession erhöht die Armut auch in den reichen Industrieländern und entwickelt dadurch sozialen Sprengstoff. Die Instabilität der Weltwirtschaft und der Volkswirtschaften erfordert neuartige Konzeptionen.

Der zunehmende religiöse Fundamentalismus in der dritten Welt hat seine vielleicht wichtigste Ursache in der Armut. Die Armen erhoffen bessere Lebensbedingungen in einer Gesellschaft auf der Basis der Religion, spezifisch des Islam. Diese Konfrontation arm und reich hat eigentlich immer existiert. Doch nun wird sie virulent. Die Zerstörung des World Trade Center in New York am 11. September 2001 markiert möglicherweise einen Wendepunkt. Das Neue an der Situation der Reichen und der reichen Länder ist seit dem 11. September: Die Armen können sich wehren. Ob nun Flugzeuge oder biologische Waffen oder chemische Waffen in den Händen von Terroristen, die Reichen sind wesentlich verwundbarer, als sie bisher gedacht haben, auch die USA. In der Augen der Armen sind die Terroristen Freiheitskämpfer und Helden. Es werden sich immer wieder Menschen finden, die bereit sind, für die Armen ihr Leben zu opfern. Der Angriff auf das World Trade Center galt offensichtlich nicht dem amerikanischen Volk. Die Zerstörung von drei Atomkraftwerken, die ebenso möglich gewesen wäre, hätte einen ungleich größeren nachhaltigen Schaden zu Lasten der amerikanischen Bevölkerung verursacht. Der Angriff galt der derzeitigen Wirtschaftsordnung, dem Marktfundamentalismus, dem internationalen Finanzkapital. Will man etwas ändern, muß man an der Basis beginnen.

Die Wirtschaftswissenschaften stecken in einer Sackgasse. Ihr Untersuchungsgebiet ist das Gebiet menschlicher Betätigung, welches der Bedürfnisbefriedigung der Menschen dient. Man stößt in den Medien pausenlos auf wirtschaftliche Probleme, welche auch nur ansatzweise zu lösen die Wirtschaftswissenschaften, auch die marktwirtschaftlichen Wirtschaftstheorien, derzeit nicht in der Lage sind.

Die Einkommens- und Vermögensverteilung unter der Bevölkerung des Globus ist außerordentlich ungleich und wird immer ungleicher. In verschiedenen Regionen der Erde sind ca. 800 Millionen Menschen am Verhungern. Lediglich das Existenzminimum besteht für die Massen in den Krisenregionen Afrikas, Indiens und Südamerikas. Weiter verbreitetes Elend existiert selbst in den reichen USA. Circa 15% der Weltbevölkerung verbrauchen zur Zeit ca. 90% der globalen Ressourcen und dennoch wird auf Wirtschaftswachstum als Allheilmittel gesetzt. Die Versorgung der gesamten Weltbevölkerung mit den Rohstoffen, welche die Bevölkerung der westlichen Industrieländer zur Zeit verbraucht, d.h. der Lebensstandard der Bevölkerung der westlichen Industrieländer für die gesamte Weltbevölkerung ist völlig unmöglich. Das Problem ist auch nicht ansatzweise gelöst.

Die den Auflagen der Wirtschaftsexperten des internationalen Währungsfonds genau entgegengesetzte Wirtschaftspolitik Malaysias war erfolgreich. Ein zentrales Problem ist das zwar verminderte, aber immer vorhandene Wachstum der Weltbevölkerung. Während die einen Regionen unter einer katastrophalen Übervölkerung leiden, vergreist die Bevölkerung anderer Regionen zunehmend. Dies löst Wanderungsbewegungen der Bevölkerung aus, welche Konflikte schüren.

Global hat ein gewaltiges Artensterben eingesetzt. Die Umwelt wird durch Raubbau nachhaltig geschädigt. Wasser wird knapp. In einer Anzahl von Regionen leidet die Bevölkerung unter Kriegen, die aufgrund wirtschaftlicher Interessen geführt werden. In einer Vielzahl von Regionen in der Welt herrscht katastrophale Arbeitslosigkeit.

Selbst auf ihrem ureigenen Gebiet sind die Ergebnisse der marktwirtschaftlichen Theorien dürftig. Die Konjunkturprognosen der verschiedenen Institutionen klaffen weit auseinander und sind häufig falsch. Es fehlt nach wie vor das wirtschaftstheoretische Instrumentarium, Konjunkturschwankungen zu glätten und soziale Defizite zu vermeiden. In den Zeiten der kürzlich vergangenen Hochkonjunktur galt als höchstes wirtschaftspolitisches Ziel, umfassend Staatsunternehmen zu privatisieren, und als höchstes unternehmerisches Ziel, einen möglichst hohen »Shareholder Value« zu erzielen. Mit dem Einsetzen der Rezession Mitte des Jahres 2001 ertönt seitens der Wirtschaft der Ruf nach staatlichen Beschäftigungsprogrammen oder Subventionen zur Sanierung insolvenzgefährdeter Unternehmen. In der Wissenschaft ist von ausschließlich marktwirtschaftlicher Regelung nicht mehr die Rede.

Um eine umfassende Zielvorgabe der Wirtschaftspolitik zu haben, sollte man sich an die Realisierung des ehrwürdigen Vielecks der Wirtschaftspolitik erinnern. Danach sind möglichst gleichzeitig Vollbeschäftigung, d.h. Arbeit für jeden, der arbeiten will, Geldwertstabilität, d.h. etwa stabiles Niveau der Preise, Wirtschaftswachstum, d.h. angemessene Erhöhung des wirtschaftlichen Produktionspotentials, allgemein akzeptierte Einkommens- und Vermögensverteilung, und Zahlungsbilanzausgleich zu verwirklichen. Das wird zwar gleichzeitig nie vollständig möglich sein, es ist aber möglich, das Zielbündel besser als bisher gleichzeitig zu realisieren.

Die Nachfrage der Milliarden Konsumenten ist extrem gestreut, die Produktion auf viele nationale Produktionsstätten verteilt, das Finanzkapital in den Finanzmetropolen New York, London, Tokio, Frankfurt, Hongkong konzentriert. Gelingt es, die Konsumgüternachfrage mit den Mitteln der neuen Informationstechnologie mit Hilfe dezentraler, kooperierender Kompartimente zu koordinieren, beherrschen diese die Produktionsunternehmen aufgrund deren Fixkostendruck, und die Produktionsunternehmen beherrschen gemeinsam mit den Kompartimenten das Finanzkapital aufgrund des Rentabilitätsdrucks der Finanzinvestoren.

Wirtschaftstheoretische und wirtschaftspolitische Diskussionen sind häufig durch Gruppeninteressen bestimmt: hier Arbeitgeber, dort Arbeitnehmer; hier Mieter, dort Vermieter etc. Die Meinungen prominenter Vertreter der Wirtschaftswissenschaften sind häufig gefärbt. Schließlich lehren sie an Universitäten, die, insbesondere in den USA, von Unternehmen finanziert werden. Die Meinungen der Diskutanten sind somit durch Herkunft und Umfeld beeinflußt oder es wird einfach gelogen. Eine objektive Orientierungsbasis, die Wirtschaft zu organisieren, bietet die unbelebte und natürlich in erster Linie die belebte Natur. Neue Technologien nach dem Vorbild der Natur nennt man Bionik. Wissenschaftler und Ingenieure entdecken im Riesenreich biologischer Systeme lebende Prototypen als Vorbilder für neue, umweltverträgliche Produkte, Prozesse und Strategien. Etwas Analoges sollte trotz der Barrieren zwischen Natur- und Sozialwissenschaften für die Wirtschaft versucht werden. Die Konzeption Kompartiment ist ein solcher Versuch. Es handelt sich hier um außerordentliche Forschung im Sinn von Thomas S. Kuhn. Man könnte diesen Forschungsbereich in Anlehnung an den Begriff Bionik »Ökonik« nennen. Ökonik ist dann der Versuch der Lösung wirtschaftspolitischer Probleme in Anlehnung an Problemlösungen der Natur. Es bestehen gewisse Parallelen zur Evolutionsökonomik, wie sie zum Beispiel Carsten Herrmann-Pillath vertritt.

Gegenstand des vorliegenden Bandes »Dynamisierung der Wirtschaft durch Dezentralisation mittels moderner Informationstechnologie« sind mögliche Änderungen der globalisierten Wirtschaft durch Kompartimentierung, d.h. durch zellulare Organisation der Wirtschaft analog der Natur. Den existierenden Systemen und Subsystemen der Wirtschaft werden auf der Nachfrageseite nach Gütern und Leistungen völlig neuartige, bisher nicht existierende wirtschaftliche Systeme - »Kompartimente« - gedanklich zugesellt und Überlegungen angestellt, wie sich hierdurch die wirtschaftlichen Strukturen verändern lassen. Zweck ist Anregung von Diskussion, ob die Kompartimentskonzeption realisierbar ist, ob Kompartimente zur Beseitigung ungleicher Information auf der Angebots- und Nachfrageseite der Märkte geeignet sind und ob Kompartimente zur Stabilisierung der Wirtschaftskreisläufe geeignet sind.

Die vorgestellte Konzeption »Kompartiment« klingt heute naturgemäß völlig wirklichkeitsfremd. Das ist das Schicksal aller neuartigen Konzeptionen, siehe Thomas S. Kuhn. Die Ergebnisse sind in gewissem Umfang revolutionär. »Die Schwierigkeiten, welche sich für die neue Theorie auftürmen, sind zu Beginn immer noch viel größer als die Summe der ungelösten Probleme des in eine Krise geratenen überkommenen Paradigmas.« Dessen ungelösten Probleme in Deutschland sind allerdings wie gesagt beängstigend: mehr als 5,1 Millionen Arbeitslose, praktisch kein Wachstum, überdimensionale Staatsverschuldung unter Berücksichtigung der Renten- und Pensionsverpflichtungen, zunehmende Überalterung der Bevölkerung, künftig nicht mehr finanzierbares Sozialsystem, etc. Grundlegende Veränderungen sind bei der heutigen Organisation der Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland nicht durchsetzbar.

Schnelle allgemeine Akzeptanz der vorgestellten Konzeption seitens der Wissenschaft, der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft kann ich nicht erwarten. Sie erfordert nach Max Planck normalerweise den Zeitraum einer Generation.