Joana Brouwer
Mord-s-lecker zwischen Ems und Vechte
INHALT
Vorwort
Nordhorn:
Der Aperitif Robby Burns
Nadine oder Robby Burns
Schüttorf:
Forellenpüree auf Pumpernickel
Das große Schweigen
Neuenhaus und Veldhausen:
Hitziges Möhrensüppchen
Eine unliebsame Überraschung
Lingen:
Göttliches Filettöpfchen
Herzenswunsch
Haren:
Erlesene Käsevariationenmit Trauben an Salzküchlein
Alles hat seine Zeit
Bad Bentheim:
Granatapfelsoße auf einerluftigen Rotweincreme
Julie und de witte Jüffer
Meppen:
Rosalindes Pralinchen
Das Café Rosa Linde
Grafschaft Bentheim:
Adelheids Zimtlikör
Zimtzicken
VORWORT
Hin und wieder werde ich gefragt, woher ich die Ideen zu meinen Kriminalromanen nehme. Meine Antwort ist immer dieselbe: Die Einfälle kommen plötzlich, ohne dass ich genau erklären könnte, weswegen oder wann.
Bei den vorliegenden Kurzgeschichten, die jeweils mit einem Kochrezept für ein herbstliches Fünf-Gänge-Menü verknüpft sind, verhält es sich etwas anders, denn zu jeder einzelnen gibt es eine kleine, aber entscheidende Vorgeschichte.
* * *
Eines Tages erzählte mir ein junger Mann - Vater eines Jungen und eines Mädchens -, den Kampf gegen seine Jüngste habe er bereits in ihrem ersten Lebensjahr verloren, als er seiner hübschen Prinzessin ein erstes Mal nachgab und sie wegen ihres Geschreis aus dem Bettchen holte, obwohl sie bespielt, satt, trocken und müde war.
»Wenn du eine Tochter hast und sie sich etwas wünscht, reagierst du nicht rational. Sobald sie dich bittet, wirst du butterweich«, erklärte mein Freund mir damals sinngemäß und lieferte damit den Schlüsselsatz für die Parodie >Nadine oder Robby Burns<.
Nachdem im letzten Jahr in der Presse wiederholt über mehrere gefälschte Gemälde des Malers Felix Nussbaum berichtet wurde - die für gutes Geld in den Handel gekommen waren -, entwarf ich das Grundgerüst für die Kurzgeschichte >Das große Schweigen<. [Der deutsch-jüdische Künstler Felix Nussbaum, geboren 1904 in Osnabrück, wurde von den Nationalsozialisten verfolgt und 1944 in Auschwitz-Birkenau ermordet.]
Josefine, die zentrale Figur in der Satire >Eine unliebsame Überraschung< entwickelte sich fast von allein - wenige Wochen nach einer Lesung im Emsland. Eine fantasievolle Dame stellte mir während der Pause die unvermeidliche Frage, ob ich tatsächlich jede Figur in meinen Romanen erfunden habe. Auf meine Antwort, Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen seien rein zufällig, blickte sie mich kopfschüttelnd an. In ihren Augen las ich Zweifel, die sie etwa folgendermaßen äußerte: »Fürchten Sie nicht, irgendjemand könnte Sie missverstehen und sich rächen?«
Dem französischen Präsidenten Herrn Sarkozy danke ich für die Eingebung, den Zauber der schwarzen Magie in der Liebesgeschichte >Herzenswunsch< zu verarbeiten. Laut einem Bericht in einem deutschen Wochenmagazin zeigte sich Monsieur Sarkozy wenig amüsiert, als eine Puppe mit seinem Konterfei - einschließlich Voodoo-Anleitung und zwölf Nadeln - käuflich zu erwerben war, und zog dagegen vor Gericht.
>Julie und de witte Jüffer< schrieb ich einige Wochen nach einer sommerlichen Familienfeier in Bad Bentheim. Wir genossen während des Essens den wundervollen Blick auf die beleuchtete Burg, sprachen über Grafschafter Sagen und ich überlegte, wie reizvoll es wäre, eine dieser überlieferten Erzählungen mit einer Kriminalgeschichte der Gegenwart zu verknüpfen.
Für den Kurzkrimi >Alles hat seine Zeit< hatte ich den Handlungsrahmen bereits vor längerer Zeit festgelegt. Mir fehlte lediglich der Handlungsort. Vor einer Lesung in Haren erfuhr ich von der bewegenden historischen Vergangenheit dieses Ortes. Das war Grund genug, das Geschehen nach Haren zu verlegen.
Ebenfalls bei warmem Wetter, jedoch an einem Nachmittag und in gänzlich anderer Umgebung, huschten die Hauptpersonen aus >Zimtzicken< durch meinen Kopf. Sie besuchten mich ohne Voranmeldung, als ich die starren Mienen mehrerer schwarz gekleideter Menschen beobachtete, die einem Sarg folgten.
Ein lautes Gespräch über einen nachbarlichen Streit, dessen Zeugin ich im letzten Sommer in einer Konditorei wurde, verführte mich nicht allein zu einem zweiten Stück Kuchen. Bereits während ich den Details der Zankereien lauschte, nahm ich Partei und stellte mich auf die Seite der vermeintlich Schwächeren. Unterdessen verwandelte meine Einbildungskraft die Räumlichkeiten in ein plüschiges Fantasie-Café und den Pudel am Nachbartisch in einen Mops. Damit war Ferdinand aus der Erzählung >Das Café Rosa Linde< geboren.
Nordhorn:
Der Aperitif Robby Burns
Nadine oder Robby Burns
DER APERITIF ROBBY BURNS
2 cl Weinbrand oder Cognac
2 cl Cointreau
2 cl Zitronensaft
Cocktailkirsche
Die Zutaten in ein mit Eiswürfeln gefülltes Rührglas geben, gut vermischen und in ein gekühltes Cocktailglas abseihen. Mit einer aufgespießten Cocktailkirsche servieren.
NADINE ODER ROBBY BURNS
Ich habe Ärger.
Falsch!
Seit einem halben Jahr habe ich Sorgen, und seit Sonntag bin ich verzweifelt und denke an Mord. Angefangen hat der Schlamassel in dem Moment, in dem Nadine diesen Hanswurst in mein Haus brachte. Sie müssen wissen, Nadine ist unsere Jüngste und unsere einzige Tochter. Sie ist hübsch, richtig gut aussehend ist sie. Äußerlich kommt sie ganz nach mir, aber den Charakter, den hat sie von ihrer Mutter geerbt. Das ist mir schon aufgefallen, als die Kleine in den Kindergarten gehen sollte und wir ihr das Täschchen für das Butterbrot und den Trinkbecher aussuchten. Die hat sich nicht beirren lassen, hat so lange rumgezetert, bis sie das bekam, was ihr gefiel. Aus rosafarbenem, glänzendem Stoff war das Umhängetäschchen gefertigt, mit lila Samtblüten obendrauf. Total unpraktisch und schmutzempfindlich und tierisch teuer. Greta, meine Frau, hat diese Anschaffung bereits zwei Tage später verflucht.
Damals ist mir ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen, der Nadines weiteres Leben bestimmen sollte und der sie jetzt direkt in die Hölle führen wird. Ich hätte ihr vor zwanzig Jahren nicht nachgeben dürfen, nicht das rosa Täschchen, sondern die braune Kunstledertasche kaufen müssen.
»Ein einziges Mal bist du zu gutmütig mit Nadine gewesen und nun badest du es dein Leben lang aus«, sagte mein Arbeitskollege Ulrich neulich, mit dem ich mir im Finanzamt einen Büroraum teile.
Er hat recht, aber er ist nur der Vater zweier Söhne und deswegen nicht imstande, meine Gefühle nachzuempfinden.
»Wenn du eine Tochter hast und sie sich etwas wünscht, reagierst du nicht rational«, erklärte ich ihm. »Sobald sie dich bittet, wirst du butterweich. Kleine Mädchen besitzen bereits bei ihrer Geburt Evas Raffinesse. Ich spreche von dem Weib aus dem Paradies, die, die Adam mit dem Apfel umgarnte und uns Männer für alle Zeiten ins Unglück stürzte. Eine Tochter krabbelt auf deinen Schoß, streichelt dein Gesicht, krault deine Haare, gibt dir ein Küsschen und bettelt: >Och Papa ..., ich will das so gerne ..., bitte ..., du bist der beste Papi der Welt.<«
Jetzt klettert Nadine nicht mehr auf meinen Schoß, weil sie ein lachsfarbenes Röckchen, eine silberfarbene Barbie oder goldfarbene Riemchensandalen haben will. Jetzt liegt sie mit diesem Kerl im Bett und vergnügt sich mit ihm. Das macht mich wütend und traurig zugleich und schlägt mir auf den Magen.
* * *
»Du siehst irgendwie mitgenommen aus«, empfängt Ulrich mich am Montagmorgen.
»Ich habe seit gestern Nachmittag keinen Happen gegessen und letzte Nacht nicht geschlafen. Nadine will diesen idiotischen, ewig grinsenden Trottel nächsten Monat heiraten«, klage ich ihm mein Leid.
»Und Greta? Was meint Greta?«
Ich zucke die Achseln und schweige. Es ist mir peinlich, ihm die Reaktion meiner Frau auf das anstehende Ereignis zu beschreiben. Zu sehr schäme ich mich für sie. Denn auch Greta ist seit gestern wie von Sinnen. Sie hängt stundenlang am Telefon, um die Hiobsbotschaft weiterzugeben, spricht über Abendkleider, einem kalten Büfett und heißer Grafschafter Hochzeitssuppe, und benimmt sich, als habe sie zehn Millionen Euro im Lotto gewonnen.
»Diese Heirat musst du verhindern, Robert. Du darfst nicht sehenden Auges dein eigenes Kind ins Unglück rennen lassen. Hast du bereits eine Detektei eingeschaltet, die Erkundigungen über den Mann einzieht?«
Ich schüttle den Kopf und ärgere mich. Auf diese Idee hätte ich selbst kommen können.
»Er lebt bei seinen Eltern an der holländischen Grenze«, teile ich widerwillig mit.
»An der holländischen Grenze?«, wiederholt Ulrich entsetzt. »Wo lernt ein Nordhorner Mädchen einen Mann kennen, der dort wohnt?«
»Auf dem Volksfest in Veldhausen.«
»Diese alkoholischen Belustigungen müsste man verbieten. Das würde uns manchen Ärger ersparen. Ich kenne jemanden, der jemanden aus Schüttorf kennt, der auch an der Grenze gebaut hat.«
»Tatsächlich?«, frage ich scheinbar neugierig. In Wirklichkeit interessiert es mich nicht. Ich will meine kleine unschuldige Nadine zurück, mein Töchterchen. Alles müsste wieder so sein, wie es vor einem halben Jahr war.
»Soll der ehemalige Schüttorfer sich mal umhören, Robert? Wenn Nadines Auserwählter Dreck am Stecken hat, dann kannst du die Hochzeit vielleicht verhindern.«
»Nee, lass man«, lehne ich sein gut gemeintes Angebot ab. »Seit fünfundzwanzig Jahren bemühe ich mich, Nadine mit schlagkräftigen Argumenten zu überzeugen, aber ...«
»Du hast sie geschlagen, schlägst sie immer noch?«, unterbricht Ulrich mich empört.
»Nur mit Argumenten, niemals mit der Hand«, beruhige ich ihn. »Nadine ist willensstark, ein echter Dickkopf. Sie gibt nicht klein bei, ganz gleich, was ich sage, wovon ich rede und über wen. Sie hat immer das letzte Wort. Außerdem möchte ich keine zusätzlichen Mitwisser haben bei dem Coup, den ich plane. Du bist mein einziger Freund, nur dir vertraue ich.«
Ulrich zieht die Stirn kraus und streicht einige Male über seinen kahlen Schädel. »Du willst Fakten schaffen und nicht diskutieren. Wir ähneln uns, Robert. Beide sind wir Männer der Tat.«
»Leise, sprich leiser«, flüstere ich. »Im Amt haben die Wände Ohren.«
Ulrich erhebt sich schwerfällig aus seinem Bürostuhl und schließt die Tür zum Korridor. Ich schiebe mein heutiges Arbeitspensum, eindreiviertel Steuerbescheide, an die Schreibtischkante, lege meinen Kopf auf die Arme und denke nach.
Nadines Schweinehund fährt Motorrad. Ich müsste nur die Bremsen an seiner Maschine manipulieren. Er rast siegessicher nach einem Besuch bei meiner Tochter über die kurvenreiche Strecke zu seinem Elternhaus. Verliert die Kontrolle über seine Honda! Sein Körper fliegt gegen einen Baum! Und? Tot? Fahrzeugtechnisch gesehen bin ich allerdings völlig unbegabt, kann nicht einmal einen Ölwechsel an meinem Opel vornehmen.
In unserer Küche steht ein hölzerner Messerblock, in dem Greta diverse Mordwerkzeuge aufbewahrt.
Ich wähle das Fleischmesser, und dann?
Igitt!
Als Greta sich vor Kurzem beim Gemüseputzen in den Finger ritzte und ich ihr ein Pflaster auf die blutende Wunde kleben sollte, fiel ich in Ohnmacht und mit der Stirn gegen die Tischkante.
Erschießen!!!
Ohne Waffenschein keine Waffe!
Eine Genehmigung zum Tragen einer Waffe beantragen? Zu kompliziert! Bis ich die in den Händen halte, ist Nadine verheiratet. Ich müsste meine eigene Tochter ins Witwendasein befördern und das brächte ich nicht übers Herz.
Ich besorge mir die Knarre im Verbrecher- oder Rotlichtmilieu! Wo finde ich das passende Milieu?
Ich bin sparsam und stinksolide, bezahle meine Rundfunkgebühren, habe niemals gestohlen und was ein Bordell ist, weiß ich nur vom Hörensagen.
Gretas Vater besitzt ein Jagdgewehr, das könnte ich mir borgen.
Tot durch Schrot?
Eine Riesensauerei, habe ich mir sagen lassen. Die Kügelchen streuen! Pfui!
Die Dachterrasse fährt es mir durch den Kopf. Ich lade diesen Grinsekloß zu einem Bier ein, schmeiße den Grill an. Wenn er in seine erste Bratwurst beißt und mich lobt, da ich ein begnadeter Griller bin, stoße ich ihn über das Geländer in die Tiefe.
»Ist ein Sturz aus dem ersten Stockwerk tödlich?«, spreche ich meine Gedanken laut aus.
»Nein, bei einem Aufprall aus der geringen Höhe bricht er sich allerhöchstens ein Bein oder einen Arm. Im günstigsten Fall beides. Sterben wird er nicht, Robert«, holt Ulrich mich aus meinen Träumen zurück ins wahre Leben und unterbreitet mir einen wahrhaft albernen Vorschlag: »Wir googeln ihn und falls wir etwas Charakterloses in seiner Vita entdecken, reibst du es Nadine unter die Nase. Ich halte ne Menge davon, Probleme mit den Kindern auszudiskutieren. Meistens sind die nicht so dumm, wie man denkt. Bei unserem André haben meine Frau und ich uns auch fünf Jahre lang den Mund fusselig geredet, bis er endlich regelmäßig die Schule besuchte.«
»Den Unglückseligen findest du nicht, wenn du ihn googelst, der ist ein Niemand. Noch nicht einmal mich kannst du googeln. Dabei arbeite ich seit zwanzig Jahren für den Taubenzuchtverein.«
»Abwarten, ich habe da eine Idee«, sagt Ulrich und guckt mich nachdenklich an. »Hat er studiert?«
Seitdem sein Sohn André in Münster eine Fachhochschule besucht, stellt er immer diese Frage, sobald das Gespräch auf die Kinder und Schwiegerkinder seiner Arbeitskollegen, Kegelkumpanen oder Freunde kommt.
»Uni Osnabrück! Hahaha! Jura! Hahaha! Zwölftes Semester«, lache ich höhnisch. »Bis dieser Schmachtlappen endlich sein Examen ablegen darf, vergehen mindestens noch sechs, eher sieben Jahre.«
»Verdammt!«, flucht Ulrich. Er mustert mich mit Mitgefühl und kommt - da er nicht dumm ist - sofort auf den Kern der Sache zu sprechen und sticht mir mit seinen Worten mitten ins Herz. »Er hat keinen müden Euro in der Tasche. Deswegen zwingt das frisch verliebte Paar dich, die Hochzeitsfeier zu bezahlen. Das ist Nötigung und kriminell und gehört bestraft. Aber mit einem zukünftigen Juristen legst du dich besser nicht an, Robert. Gegen den verlierst du garantiert jeden Prozess. Du müsstest klagen, bis du vor dem Bundesgerichtshof angelangt bist.« Er denkt einen Moment nach und fügt hinzu: »Wie viele Gäste erwartet ihr eigentlich?«
»Nadine will eine Grafschafter Hochzeit feiern, mit einem Hauch Hollywoodambiente. Hundertachtzig Personen standen gestern Abend bereits auf Gretas Liste«, erwidere ich verzagt und bin mir gewiss, dass das Ende der Fahnenstange längst nicht erreicht ist. Bis die Einladungskarten verschickt werden, bleibt den Frauen noch eine Woche Zeit. »Greta ist der Ansicht, ich dürfe nicht kleinlich sein. Da Nadine unsere einzige Tochter ist, seien wir verpflichtet, ihren Wünschen nachzukommen.«
Ulrich holt seine pfirsichfarbene Frühstückstupperdose aus der ledernen Aktentasche und zieht den Deckel ab. Er betrachtet den Inhalt und schüttelt missbilligend den Kopf. Wahrscheinlich hat seine Frau Elisabeth wieder das Frühstücksei vergessen.
Er fischt ein Leberwurstbrot aus der Dose und fragt: »Werden wir eingeladen? Ich, Elisabeth und meine Jungs mit ihren Freundinnen?«
Ich nicke wohlwollend und addiere zu den hundertachtzig Personen plus x sechs weitere hinzu.
Mein Kollege beißt in seine Stulle, kaut bedächtig, verzieht den Mund und legt sie umgehend zurück in ihr Plastikbett.
»Welche Details ihrer Hochzeitsfeier importiert Nadine aus den Vereinigten Staaten, Robert?«
»Sie plant einen Junggesellinnenabschied, am Abend vor der Trauung, und ihr Hampelmann will jetzt natürlich den Abklatsch dazu mit seinen Kameraden veranstalten. Mich hat er auch eingeladen, der Angeber.«
»Und das nur, damit du die Zeche bezahlst«, begreift Ulrich umgehend und zeigt mir damit, dass ich seine Intelligenz nicht unterschätzen darf.
Er verschließt energisch seine Proviantbox und versteckt sie hinter einem Aktenstoß.
Ich hole mein Salamibrot aus der Schreibtischschublade, schieb es zu ihm rüber und erläutere: »Nadine verlangt, dass ich sie an dem schönsten Tag ihres Lebens durch die Kirche geleite und sie vor dem Altar bei diesem Waschlappen abliefere. Dabei ist der evangelisch.«
Ulrich stutzt. »Greta und deine Kinder sind doch auch evangelisch.«
»Aber nicht dermaßen tiefgründig evangelisch, wie der Grinsepott aus der Niedergrafschaft. Der ist durch und durch evangelisch-reformiert, und Greta nur ein bisschen. Sie gehört zu den Lutheranern, das ist nicht so schlimm«, erkläre ich meinem Freund. Er hat vor vielen Jahren mit mir gemeinsam die heilige Kommunion gefeiert und sein Eheherz einer Katholikin anvertraut.
»Verstehe«, sagt Ulrich, nachdem er über die Religionsgemeinschaften nachgedacht und mein Butterbrot verspeist hat. »Wundert mich nicht, Robert, dass du aussiehst, als habe man dir den Boden unter den Füßen entzogen und dich mit kaltem Wasser übergossen.«
Ich nicke zustimmend, denke an Greta und eheliche Pflichten, und daran, dass sie ihren Pflichten nicht mehr nachkommt.
»Zu dem Ärger mit Nadine kommt der Entzug hinzu«, platze ich unwillkürlich heraus.
In mein Liebesleben wollte ich ihn eigentlich nicht einweihen, doch er reagiert sofort auf meine Indiskretion und hakt unbarmherzig nach: »Liebes- und Sexentzug, Robert?«
»Das ist einzig und allein mein Problem«, winke ich ab. »Darüber spreche ich nicht gerne.«
»Das solltest du aber, Robert. Schütte dein Herz aus, bei mir sind deine Geheimnisse gut aufgehoben.«
»Weißt du, was Greta vor acht Wochen zu mir sagte?«
»Nein.«
»Seit Nadine einen festen Freund hat, benimmst du dich wie ein eifersüchtiges Kind, Robert, und mit nem Kind schlafe ich nicht. Gib mir Bescheid, wenn du wieder ein Kerl bist.«
»Seitdem ist tote Hose bei euch im Schlafzimmer? Deswegen hast du keinen Hunger?«
»Ja«, erwidere ich beschämt und überlege, dass es in unserem Haus kein Fitzelchen Erotik mehr gibt. Nicht in der Hollywoodschaukel, nicht ..., ach in keinem Raum. Da tröstet mich der leckerste Frühstücksimbiss nicht drüber weg. Das ist nicht zum Aushalten. Ulrich wirft mir einen teilnahmsvollen Blick zu und schweigt. Ich kenne seine Gedanken. Du armes bemitleidenswertes Schwein, denkt er und er hat recht.
* * *
Als ich am Abend erschöpft von meinen Grübeleien nach Hause komme, sitzt Greta stirnrunzelnd am Esszimmertisch und schiebt mindestens achtzig beschriebene DIN-A4-Blätter auf der Tischplatte hin und her.
»Ich gebe mir die größte Mühe, Robert, aber ganz gleich, wen ich von der Liste streiche, zweihundertzwanzig Leute stehen immer drauf. Wenn wir die Jansens einladen, müssen auch die Hartmanns kommen und wenn die Hartmanns dabei sind, dürfen wir die Brinkmanns nicht vergessen, und wenn ...«
Ich lass sie reden, lege mich aufs Sofa und spinne meine Mordgedanken weiter.
* * *
Ulrich wartet am nächsten Morgen bereits auf mich. Er hat den Rechner eingeschaltet und raunt mir zu: »Ich habe ihn gegoogelt und bin dabei in die Abgründe seiner Seele eingetaucht. Ich gebe nur www.studentenverzeichnis.de ein und nutze den Zugangscode meines Sohnes. Du ahnst nicht, was man dort findet. Unser André hat mir diesen nützlichen Tipp gegeben und damit voll ins Schwarze getroffen.«
Siehst du, Robert, klopfe ich mir insgeheim auf die Schulter, deine Menschenkenntnis trügt dich nie. Nadines Auserwählter ist ein Scharlatan. Deine schöne Tochter, die Schönste in der Grafschaft Bentheim, hat sich dem erstbesten Betrüger an den Hals geworfen.
»Leider kannst du diese Beweise nicht verwerten, denn die Sache hat einen Haken, und der heißt Nadine«, führt er weiter aus. Er zeigt auf seinen Bildschirm und dreht ihn zu mir. »Sieh es dir selbst an, dann bist du informiert.«
Ich bin fassungslos. »Bist du wahnsinnig geworden?«, zische ich ihm leise zu und schließe schnellstens die Tür. »Hast du nicht das letzte Rundschreiben gelesen? Private E-Mails und die Nutzung nicht amtlicher Seiten des Internets wurden uns strengstens untersagt. Willst du deine Pension aufs Spiel setzen?«
»Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss«, erklärt Ulrich. »Du bist mein Freund und deswegen trage ich mit dir die Verantwortung für das Glück deiner Tochter. Auf einigen dieser unglückseligen Fotos wirkt Nadine auf mich, als habe sie einen über den Durst getrunken, und ihr Zukünftiger war sternhagelvoll, als die Bilder geschossen wurden. Unser André meint zwar, diese Fotos seien bei einer Studentenfete aufgenommen worden. Er hält diese Exzesse für normal und nicht bedenklich. Allerdings bin ich gegensätzlicher Meinung und habe ihm ab sofort verboten, an diesen Happenings weiterhin teilzunehmen.«
Ich werfe einen Blick auf den Monitor und erstarre, als ich meine Tochter in dem Arm eines bärtigen Mannes entdecke, den ich nie zuvor gesehen habe. Ulrich bemerkt meine Verzweiflung sofort. Er erwartet keine Erklärung von mir, schaltet Gott sei Dank den Computer aus und schnalzt zweimal mit der Zunge.
»Robert, ich habe mir die Nacht um die Ohren geschlagen, über dich und Nadine nachgedacht, und mir ist eine glorreiche Idee gekommen: Du musst den Trottel nicht unbedingt töten, um die Hochzeit zu verhindern. Es reicht, wenn du ihn an diesem verhängnisvollen Tag aus dem Verkehr ziehst. Ohne Bräutigam keine Hochzeit. Und, mein Lieber, ich weiß auch, wie du es anstellen kannst. Denn ich kenne da jemanden, der dir behilflich sein wird. Sie wird den Blödian an seinem Junggesellenabschied mit ihrem Gehaltvollen abfüllen. Shake it Baby, sage ich nur. Deine einzige Aufgabe besteht darin, dem Schmalhans nach Mitternacht den Weg in ihre Kneipe zu weisen.«
Ich begreife, verbringe die Zeit bis zu dem Tag meines Triumphes entspannt und zufrieden und gebe mich scheinbar geschlagen. Ulrich ist von Kindesbeinen an ein Haudegen und dem schönen Geschlecht mehr als zugeneigt. Er hat Beziehungen zur holden Weiblichkeit, die ich mir nicht einmal erträumen darf. Deswegen bin ich jetzt sicher, dass ich Nadines Grinsepott besiegen werde und ihn höchstens noch drei Wochen ertragen muss.
Greta und Nadine wiegen sich in einem trügerischen Glück und behandeln mich, als sei ich der Maharadscha von Jaipur.
* * *
Am Abend des Junggesellenabschieds ist die Stunde meiner Rache gekommen. Ich verlasse mit Nadines Falschspieler das Haus, schmeichle mich bei ihm ein, richte mich auch ansonsten nach Ulrichs Empfehlungen, proste jedem zu, und trinke mit jedem, ganz gleich, ob ich ihn kenne oder nicht..........