Ahmed El Dib

Die Politik geht durch den Magen

 

Vorwort

Als ich begann, dieses Buch zu schreiben, hatte ich zwei Ziele vor Augen: zum einen sollte es zeigen, daß ein großer Teil der in Deutschland beheimateten "Ausländer" sich nicht passiv verhält und nicht die Einstellung "was geht das mich an" gegenüber ihrer neuen Heimat angenommen hat. Ich wollte zeigen, daß sie sich mit ihrer "Neuheimat" identifizieren, am Geschehen teilnehmen und sich mit den herrschenden Problemen beschäftigen. Sie freuen sich, wenn es Anlaß dazu gibt - leider zur Zeit eine Rarität in Deutschland - und schimpfen und üben auch Kritik, wenn sie am Platze ist. (Bekanntlich kann nur jemand Kritik an einer Sache üben, wenn er sich damit befaßt hat.) Ihr Verhalten ist also hierin dem des größten Teils der deutschen Bevölkerung recht ähnlich.

Zum anderen ist es mein Ziel, einige der Probleme, welche die Leute zur Zeit am meisten beschäftigen - und davon gibt es im Lande zuhauf - in einer simplen, am besten einer unterhaltsamen Form an den Mann zu bringen. Es war niemals meine Absicht, ein Fachbuch über "Ökonomie" oder "die Wirtschaft" zu schreiben. Dies bleibt den Experten und Fachleuten überlassen, und diese haben zur Zeit auch Hochkonjunktur. Sie erreichen aber eine dünne Schicht der Bevölkerung. Die meisten Menschen können mit ihren "Worthülsen" und ihrer "Wall-Street-Sprache" nichts anfangen. Lebte Monsieur Jean-Francois Champollion noch heute unter uns, hätte er sich höchstwahrscheinlich entschieden, diese "Wall-Street-Sprache" nicht anzufassen und bei der Entzifferung der altägyptischen Hieroglyphen zu bleiben.

Dies ist der Grund, weshalb ich die Form der "Satire" und der "Anekdote" gewählt habe, und ich fühlte mich meinem Ziel näher gekommen, als eine Bekannte mein Manuskript mit den Worten kommentierte: "Jetzt glaube ich, daß ich etwas mehr von einigen wirtschaftlichen und politischen Belangen verstehe, und gleichzeitig habe ich mich beim Lesen auch noch köstlich amüsiert." Und darum geht es hier.

Mein Dank gilt Herrn Dr. Schwenk vom Principal-Verlag für sein Vertrauen in einen literarischen "Anfänger", meinem langjährigen Freund dem ägyptischen Künstler Youssry Hassan für die Einbandgestaltung und Frau Gisela Flörke für ihre Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts für dieses Buch. Sie war ja sehr geduldig mit mir!

Ahmed El Dib

Die Manager

Man hat sie "Nieten in Nadelstreifen" oder "Frühstücksdirektoren" genannt. Man hat sie auch als "aktiv", "dynamisch" sowie "Symbol der deutschen Mobilität" gelobt. Sie sind "Garant der Produktivität" der deutsche Industrieunternehmen.

Gewiß: Um ihre "Aktivität" und "Dynamik" zu demonstrieren, reisen sie ständig um den Globus herum, allein oder in Scharen und in Begleitung der deutschen politischen Führung, die Kapitalhilfe an Entwicklungsländer auf Kosten der deutschen Steuerzahler verschenken, in der Hoffnung, versprochene Milliardengeschäfte abzuschließen, welche sich in der nüchternen Realität alsbald als Wunschdenken verflüchtigen.

Ihre "Mobilität" zeigen sie, indem sie viel Golf spielen, und ihre "Produktivität" erkennt man an immer mehr steigenden Arbeitslosenzahlen.

Am Standort Deutschland stehen dem Manager der deutschen Konzerne und Unternehmen genügend brillante Köpfe in der Forschung sowie eine hochqualifizierte Arbeitnehmerschaft zur Verfügung. Weiterhin genießen sie hohe Subventionen verschiedener Art sowie hohe Steuervergünstigungen, alles gesichert durch ihre eigenen Lobbyisten und die ihrer Verbände. Die deutsche Regierung schnürt "Sparpakete" für sie, meistens auf Kosten der Arbeitnehmer und der schwachen Schichten der Gesellschaft, in der Hoffnung, die Lohn-Nebenkosten zu senken.

All’ dies geschieht, damit sie mehr investieren und somit mehr Arbeitsplätze schaffen. Das tun sie auch! Sehr eifrig sogar, aber nicht hier im Lande, sondern jenseits der deutschen Grenzen, in Polen, in der Tschechei und auch anderswo, wohin sie die so in Deutschland gewonnenen Milliarden bewegen, um dort die versprochenen "Investitionen" zu tätigen und in diesen Ländern neue Arbeitsplätze zu schaffen. "Globalisierung" nennen sie das, wenn auch auf Kosten des deutschen Arbeitsmarktes und Steuerzahlers. Haben diese Leute so etwas wie ein Nationalbewußtsein oder ein Gewissen?? Wo bleiben ihre moralischen und ethischen Werte?

Als die Konjunktur blühte, wurde bewundernd zu ihnen aufgeschaut. Als aber die Flaute kam, standen sie da, nackt unter ihren "Seidenstreifenanzügen", wie gelähmt und voll Katzenjammer, ohne brauchbare Konzepte oder Ideen, jedoch sofort auf der Suche nach dem Schuldigen.

Es wurden aber sofort "Krisenstäbe" in jedem Konzern gebildet, und die Führungskräfte dieser deutschen Unternehmen wurden in unendliche Sitzungen und strategische Besprechungen verwickelt, eine Art Selbstbeschäftigung und Flucht vor der Realität. Vorbei an den wahren Ursachen und Gründen der Mißwirtschaft wurden riesige Mengen Papier produziert, gerichtet an sich selbst oder vielleicht auch an die Direktoren in den mittleren Etagen, gespickt mit vielen neuen, ausdrucksvollen Begriffen und Slogans wie "Visionen muß man haben", "Diversifikation", "High-Tech-Konglomerate", "Shareholder-Value", "Globalisierung", "Marginalisierung", "Optimierungs-Programme", "Market-Fraction", Cash Flow, "Budgetieren" und "Subsidiarität", um nur einige davon zu nennen.

Über die Jahre haben die deutschen Manager diese und viele andere Begriffe und Slogans von anderen Ländern und aus fremden Sprachen übernommen und diese als ihre eigenen betrachtet. Diese Begriffe und Slogans nehmen sie bei jeder Gelegenheit voll in den Mund, öfters auch, ohne an ihre Bedeutung zu denken. Somit haben sie für sich eine "eigene Sprache" entwickelt, welche von ihren Belegschaften und auch von der Bevölkerung nicht verstanden wird. Man behauptet sogar, daß viele der Manager ihre eigenen Slogans nicht mehr begreifen. Aber es ist eben "chic", sich einer solchen Sprache zu bedienen, um sich selbst das Gefühl zu vermitteln, eine "besondere Kaste" zu sein.

Die Konsequenzen daraus sind jedoch, daß diese Manager die Bodenhaftigkeit verloren und damit dazu beigetragen haben, daß die Kluft zwischen ihnen und ihren Belegschaften immer breiter wurde und sie somit selbst eine der Grundlagen für die mißliche Lage der deutschen Wirtschaft geschaffen haben.

Aber sie spielen immer weiter Golf.

Als Kanzler Kohl die Regierung 1982 übernommen hat, gab er der Wirtschaft reichliche Impulse zur Ankurbelung der Konjunktur. Die deutsche Industrie hat die Subventionen und Vergünstigungen sehr gut ausgenutzt und ihre Maschinen und Anlagen modernisiert, wobei sie aber - entgegen der Absicht der Regierung - viele Arbeitsplätze "wegrationalisiert" hat. Stolz erklärten die Manager ihren Besuchern:

"In dieser Produktionshalle standen früher 20 verschiedene Bearbeitungsmaschinen, von 40 Arbeitnehmern bedient. Heute stehen hier, wie Sie selbst sehen können, nur zwei Bearbeitungsmaschinen, und diese sind vollautomatisch, computergesteuert, liefern noch höhere Leistung und werden nur von zwei qualifizierten Arbeitnehmern bedient!"
Wo sind die anderen 38 Arbeitnehmer geblieben? Sie sind teils "wegrationalisiert", teils "umgeschult" worden. Zu dieser Zeit und bis zum Anfang der neunziger Jahre war die Konjunktur aber noch gut, so daß man den großen Ballast nicht auf einmal abwerfen konnte.

Dann - zur Zeit des zweiten Golfkrieges - zeichnete sich eine weltweite Rezession ab, die in den Jahren 1994 bis 1995 ihren Höhepunkt erreichte. Diese Rezession war ein Gottesgeschenk für die Manager!* Kein Zeitpunkt war günstiger für den Abwurf von Ballast: die Manager setzten ihre Arbeitnehmer und konsequenterweise auch die Regierung unter Druck, um Lohnerhöhungen unter der Inflationsrate durchzusetzen oder - wie in einigen Großkonzernen geschehen - die Arbeitnehmer zu zwingen, auf einen Teil ihrer Löhne bei gleichbleibender Arbeitszeit zu verzichten, sonst würden "zig-Tausende auf die Straße gesetzt!" Die Regierung sah sich daraufhin genötigt, Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe bereitzustellen, um die Flut der Arbeitslosen zu bezahlen, und zwar auf Kosten der schwachen Verdiener in der Bevölkerung. Um diese Milliardenbeträge zu beschaffen, leitete die Regierung das "große Sparen" ein.

Zahlungen und Leistungen an die Arbeitslosen und Rentner wurden gekürzt, und Steuerreformen sind im Gespräch, welche ironischerweise gerade die "Großverdiener" auf Kosten der "schwachen" Schichten der Bevölkerung entlasten.

Mit anderen Worten: die Wirtschaft spart viel Geld durch die Entlassung einer großen Zahl ihrer Arbeitnehmer und rationalisiert sich selbst gesund. "Lean-Production" nennen sie das, und die schwachen Verdiener zahlen die Rechnung. Die Regierung spielt hier die Rolle des Transfer-Mediums.

Wann haben die Dinge ihren Lauf in diese Richtung genommen? Es fing an, als die Konzernbosse und die Manager eine erfolgreiche "beispiellose Jammerkampagne" eröffnet haben: "Der Standort Deutschland" ist nicht mehr zu halten! Die Löhne und Lohnnebenkosten in Deutschland sind die höchsten im Vergleich mit den anderen Industrienationen der Welt! Die deutsche Industrie ist nicht mehr konkurrenzfähig auf den internationalen Märkten!" und so weiter, und so fort.

Die Industrie-Lobbyisten wurden mobilisiert. Diese leisteten so gute Arbeit, daß die Politiker und die Medien sich dieser Kampagne anschlossen. Auf einmal wurde der deutsche Arbeitnehmer zum Sündenbock, nur an ihm scheitert der "Standort Deutschland", und nur seinetwegen wollen die Konzerne ihre Produktion ins Ausland verlagern oder "sich globalisieren", wie sie zu sagen pflegen.

Daß die Konzernbosse und die Manager "Mißmanagement" und "Mißwirtschaft" betrieben haben, wurde mit keinem Wort erwähnt!?

Sogar die Funktionäre der Gewerkschaften ließen sich von dieser "Jammerkampagne" mitreißen, so daß man den Verdacht hegen kann, daß auch sie mit den Managern unter einer Decke stecken und die theatralischen Verhandlungsrunden mit dem Arbeitgeber bis tief in die Nacht oder ihre Teilnahme an Arbeitnehmerdemonstrationen - heisere Stimme inklusive - nur als "Feigenblatt" dienen sollen.

Warum aber ist der "Standort Deutschland" so schlecht? Und wenn das so ist, wie konnte die deutsche Wirtschaft sich in all den Jahren auf den internationalen Märkten behaupten??

Seit Mitte der achtziger Jahre beobachten wir zwei Vorgänge, die eigentlich hemmend auf die deutsche Wirtschaft wirkten und ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen Markt beeinträchtigten:

- die Löhne und Lohnnebenkosten stiegen am Anfang um zweistellige Prozentsätze, aber später langsamer;

- der Kurs des US-Dollars gegenüber der DM sank von DM 3,50 in der Mitte der achtziger Jahre unaufhaltsam, bis er sich bei DM 1,40 bis 1,70 eingependelt hatte...

Dennoch konnte die deutsche Wirtschaft sich auf dem internationalen Markt behaupten und sogar ihren Export dort steigern.

Oder wie sollen die Manager es erklären, daß die deutsche Wirtschaft im Jahre 1996 - also in dem Jahr, in dem die Manager am meisten gejammert haben, so daß dieses Jahr den Namen "Manager-Jammer-Jahr 96 verdient hätte - einen Exportertrag von sage und schreibe 780 Milliarden DM erzielt hat, den höchsten in der Geschichte der deutschen Republik, so daß Deutschland auf Platz 2 der Export-Industrienationen in der Welt stand, direkt hinter den USA und sogar vor Japan?? Der Exportertrag im Jahr 1997 erreichte 887,13 Milliarden DM. Der Exportüberschuß, also die Differenz zwischen Gesamtexport und -import betrug im selben Jahr 1997: 121 Milliarden DM. Wieso weisen die Bilanzen der Konzerne und Unternehmen plötzlich beträchtliche Überschüsse in Milliardenhöhe auf? Parallel dazu müssen die Arbeitnehmer und die schwachen Verdiener weiterhin die reduzierten Löhne in Kauf nehmen und immer höhere Kostenlasten tragen, und dennoch steigt die Zahl der Arbeitslosen stetig weiter an.

Wie hat die deutsche Wirtschaft diese Entwicklung ermöglicht?

In der "Jammerkampagne" hat man das wichtigste Element der wirtschaftlichen Bewertung absichtlich verschwiegen, nämlich die Produktivität. Obwohl die deutschen Arbeitnehmer - im Vergleich zu den anderen Industriestaaten der Welt - die höchsten Löhne bekommen und auch die höchsten Lohnnebenkosten verursachen, erreichen sie die höchste Produktivität, und somit sind die "Stückproduktionskosten" der meisten deutschen Erzeugnisse die günstigsten weltweit.

Warum haben die Konzernbosse und die Manager der deutschen Unternehmen diese Fakten verschwiegen?

Warum haben sich die Politiker diese "Jammerkampagne der Halbwahrheiten" zu eigen gemacht? Haben sie die Ausfuhrstatistiken nicht gelesen oder haben die Lobbyisten der Industrie und deren Verbände Sand in ihre Augen gestreut und gute Arbeit geleistet?

Warum haben die Gewerkschaftsfunktionäre ihre Mitglieder - die Arbeitnehmer - nicht in Schutz genommen? Oder stecken sie mit den Managern unter einer Decke??

Mit Erstaunen beobachtet man: Wenn die Manager ihren Willen in den Verhandlungen mit den Gewerkschaften nicht durchsetzen können, drohen sie mit der Verlagerung der Produktion ins Ausland und der Entlassung einer großen Zahl von Arbeitnehmern. Sofort kriechen die Politiker, die Betriebsräte sowie die Gewerkschaftsfunktionäre unter den Teppich , und die Manager können tun und lassen, was sie wollen.

Natürlich müssen die Lohnnebenkosten gesenkt werden, damit die Konjunktur auf dem Binnenmarkt belebt werden kann. Aber muß dies nur auf Kosten der Arbeitnehmer, der Steuerzahler und zu Lasten der schwach verdienenden Schichten der Bevölkerung geschehen? Verabschieden sich die Manager, die Politik und die Gewerkschaften vom Sozialstaat? Haben alle diese Leute nicht an die Folgen dieser Politik gedacht? Denn so wachsen die Spannungen und der soziale Unfriede zwischen den "Besserverdienenden" und den "schwachen" Schichten der Bevölkerung.

Aber die Manager sind mit sich selbst beschäftigt: die Sorge um ihre Posten steht im Vordergrund.

Auch ihr Kollegialverhalten ist sehr ausgeprägt. Versager werden nicht fallengelassen, der "Ehrenkodex dieser Kaste" erlaubt dies nicht, denn ich muß ja für die eigene Zukunft vorsorgen. Mein Kollege, der versagt und sein eigenes Unternehmen an den Rand des Ruins geführt hat, bekommt einen höheren Posten bei einem befreundeten Konzern, und wir beide können ruhig weiter Golf spielen.

Die Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende der großen deutschen Konzerne benehmen sich wie "Halb-Götter" und demonstrieren ihre Herrschaft und ihre absolute Macht über ihre Untertanen in ihre Konzerne, sodaß eine der berühmten "Machiavellischen-Grundsätze" - eigentlich für Herrscher und Politiker gedacht - hier bei diesen machtgierigen Manager seine Anwendung findet.*

Im Unterschied zu den Angehörigen anderer Berufsgruppen in Deutschland ist das Verhalten jedes einzelnen dieser Manager verblüffend identisch mit dem Verhalten seiner vielen Kollegen: die Sprache, die Wortwahl, die Slogans, die Betonung, das Artikulieren, die Gestik, die Mimik, usw. Jeder ist eine echte Kopie der anderen, so daß der Verdacht naheliegt, daß diese Personen in einem modernen, gentechnischen Labor geklont worden sind, lange bevor der schottische Biologe, Mr. Ian Wilmut, sein Schaf "Dolly" geklont hat. Oder sind die Visionen aus Aldous Huxley’s "schöner neuer Welt" der dreißiger Jahre Wahrheit geworden?

Wie kommt es, daß die Zahl der erfolgreichen, deutschen Manager sehr begrenzt ist?

Was stimmt hier und was nicht?

Vielleicht können folgende, authentische Geschichten und Anekdoten Einblick in die Gedanken- und Verhaltenswelt der heutigen deutschen Manager geben.

* Machiavelli, Niccolò (1469-1527) geboren in Florenz, Staatsmann und Schriftsteller. Umstrittener "Genial-Denker". Eine seiner berühmten Grundsätze lautet: "Power tends to corrupt. Absolute power corrupts absolutly." Also: "Macht fördert die Korruption. Absolute Macht führt zur absoluten Korruption."