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Evelin Senarclens de Grancy: Feuer unter den Füßen
- Rezensionen -
E-Mail einer Lerserin vom 25.11.2009:
Liebe Evelin,
ich wollte Dir ja schreiben wie mir Dein Buch gefallen hat. Eigentlich habe ich da nicht daran gedacht, dass ich Dir so bald schreibe.
Aber, was soll ich Dir sagen, letzten Sonntag - es war bei uns eher Kuschel- oder Glühweinwetter, habe ich mit Deinem Buch angefangen und, Du wirst schon wissen was kommt, konnte es auch nicht wieder weglegen. Erst am Monatag, als ich die letzte Seite gelesen hatte, war ich wieder für anderen Dinge aufnahmebereit. Ich habe mich während des lesens auch so an unser Gespräch und unseren Spaziergang in Aus erinnert. Nun, ich bin bestimmt kein Experte, aber ich fand Dein Buch sehr schön, spannend und einfach super zum Lesen.
Ich hoffe Ihr seid von München aus noch gut nach Hause gekommen. Und es ist auch schön, nach so einen ereignisreichen Urlaub wieder heimzukommen, finde ich.
Liebe Grüße an Dich und Dittrich aus Neumarkt
von Brigitte
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Das Buch "Feuer unter den Füßen" brennt in der Tat wie Feuer, weil es Wirrungen, Liebe, Hass, Verfehlung, Vaterlandsliebe, Vaterlandsverrat in einer unglaublichen Folge verkörpert. Es ist aber zugleich ein Geschichtsbuch und Lexikon.
Prof.Dr. Wolfgang Frhr. v. Stetten, Januar 2008
"Eine Agentenstory, wie sie einem James-Bond-Roman hätte entspringen können. Nur: Diese Spionagehandlung spielt mitten in Hannover - im Stadtteile List.
Neue Presse, Hannover, April 2008
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Sie hat einen autobiografischen Roman geschrieben, der sich wie ein Krimi liest: Immer wieder scheint EVELIN SENARCLENS DE GRANCY an Männer geraten zu sein, die als Spione ein Doppelleben führten. Und bei der Lektüre des Buches ist nicht immer ganz eindeutig, was Dichtung und was Wahrheit ist.
Heike Schmidt, HAZ Hannoversche Allgemeine Zeitung, Dezember 2006
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VON HEIKE SCHMIDT
Manchmal hat sie Sehnsucht danach, auf alten Spuren durch Berlin zu laufen und vielleicht Antworten auf ihre Fragen zu finden. Sehnsucht nach den Menschen, die sie damals von heute auf morgen verlassen hat. Ohne Abschied. Das wäre zu gefährlich gewesen. Evelin Senarclens de Grancy ist 1969 aus der DDR geflohen. Mit dieser Flucht beginnt auch ihr Roman "Feuer unter den Füßen. Die Geschichte einer Vaterlandsverräterin". Er handelt von den Spionen, die sie liebte - auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Heute wird sie um 19 Uhr bei Weiland aus dem Buch lesen.
"Es ist ein weitgehend autobiografischer Roman", sagt sie - und diese Biografie lässt einen den höflich angebotenen, selbst gebackenen Stollen vergessen. Kann das alles wirklich wahr sein? Immer wieder scheint diese Frau an Spione geraten zu sein - im Osten wie im Westen. Ist das der Stoff, aus dem Thriller gestrickt sind? Was ist Dichtung, was Wahrheit? Evelin Senarclens de Grancy ist eine gute Erzählerin. Anschaulich berichtet die 65-Jährige von der Suche nach ihren Freunden nach der Wende. Gefunden hat sie niemanden. Das Pressecafé in der Friedrichstraße sei ihr Treffpunkt in Ost-Berlin gewesen. Doch das Cafe gibt es nicht mehr. Es ist abgebrannt.
"Ich wollte so gerne noch einmal durch die Tür gehen, durch die Samtvorhänge schauen", erzählt sie. In ihrem Buch tut· sie es. Sie fängt noch einmal von vorn an, zieht die Vorhänge zurück und nimmt den Leser mit in eine Geschichte, die sehr persönlich, aber auch sehr politisch ist. Es ist das Leben der anderen Evelin Senarclens de Grancy, die damals noch Geigenbauer mit Mädchennamen heißt, die 1941 in Halle an der Saale geboren und aufgewachsen ist und zum Studieren nach Berlin geht.
Dort lernt sie Peter kennen, der am Theater arbeitet. Ihre erste große Liebe. Durch ihn gerät sie ins Visier der Stasi.
Denn Peter hat seinen eigenen Kopf. Auffällig unauffällig taucht immer wieder ein Mann dort auf, wo sie sich mit ihrem Freund aufhält. Jahre später wird sie diesen Mann wiedersehen. Er wird so tun, als sähe er sie zum ersten Mal. Er wird ihr Schwiegervater, und er ist ein Spitzel. Seine Frau sei Mielkes Sekretärin gewesen, erzählt die Autorin. Mit seinem Sohn Norbert wird sie in den Westen fliehen. "Kurz vor unserer Flucht hat mir mein Schwiegervater berichtet, dass er Doppelspion für England war", berichtet die inzwischen pensionierte Lehrerin.
Nach der Flucht, beim Tennis in Hannover lernt sie ihren zweiten Mann, Dieter Haase, kennen. Die Ehe mit Norbert ist längst in die Brüche gegangen. Haase fasziniert sie. Er habe Gedichte geschrieben, sei schlagfertig gewesen, und sie, die etwas Zurückhaltendere, ist be-eindruckt. Später, so sagt sie, sollte sich herausstellen: Auch das war abgekartet. "Ich wollte dich, um eine intakte Familie aufzubauen", habe ihr Haase nach der Scheidung 1989 gestanden. Im Mai 1976 wurde Haase in München vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht wegen besonders schweren Landesverrats zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der "Spiegel" legte sich damals bei der Berichterstattung schwer ins Zeug:
"Wenn die Mitglieder des 3. Strafsenats des Bayerischen Obersten Landesgerichts plötzlich die Roben schürzen und kreischend über den Angeklagten Dieter Haase herfallen würden, um ihn zu zerreißen und aufzufressen, man täte ohne zu zögern mitmachen. Der Angeklagte hätte sogar in Gandhi eine unwiderstehliche Mordlust geweckt."
Evelin Senarclens de Grancy hat ihre abenteuerliche Geschichte über Liebe und Geheimdienste aufgeschrieben, nachdem sie 1996 wegen eines Unfalls vorzeitig pensioniert wurde. Mit ihrem dritten Mann Dietrich wohnt sie jetzt im Philosophenviertel und lebt "ein normales Leben", mit selbst gebackenem Stollen und lachsroten Rosen auf dem Tisch - ohne Stasi und ohne Spione.
HAZ Hannoversche Allgemeine Zeitung, Dezember 2006
Es gibt einen Schlüsselsatz in dieser mit autobiographischen Zügen ausgestatteten Geschichte von und über eine Zeit, als das Träumen im zweigeteilten Deutschland noch liebenswert-naive Züge aufwies, und es ist dieser Schlüsselsatz, eingebettet in einen Kanon enttäuschter Hoffungen, der den Leser verstehen läßt, weshalb Träume an der Realität zerschellen müssen: 'Berlin. Humboldt-Universität. Auch hier Türen wie Schubladen mit Inhaltsangaben.' Dieser Ort, würde er nicht bedeutungsschwanger für die Protagonstin sein, wäre indes beliebig austauschbar in beliebig anders arrangierten Leben: Kleinmachnow, Groß-Glienicke, Pankow, Wandlitz oder Potsdam - und es trügen die Menschen andere Namen, nicht Norbert, nicht Kristina, nicht Peter, nicht Werner. Türen blieben für sie dennoch Türen wie Schubläden mit Inhaltsangaben, es sei denn, sie würden beseelte Individuen bergen, die sie weit öffneten, wenn die Besucher es wünschten, und die sie fest schlössen, wäre es vonnöten. Zu dieser Erkenntnis jedoch gelangt die Heldin des Romanes ernüchtert erst dann, als sie begreift, eher begreifen muß nach einem seelisch qualvollen Aderlaß erträumten Zukunftsglücks, daß Ost und West, Süd und Nord nichts weiter als simple Koordinaten einer in Machtzentren aufgeteilten Welt darstellen. Sie zu ignorieren bedeutet, sich in Ängste und Sehnsüchte zu verlieren, aus denen kein Norbert, kein Peter, kein Werner und wie sie alle heißen mögen, eine erfüllbare Verheißung konstruieren kann - eine Verheißung, die irreal bleiben muß, sobald sie als erlebbar gelten soll. Und damit die Leser in diesem Kontext verstehen, was der Untertitel zu bedeuten hat: Er mutet nur martialisch an für jene unter ihnen, die exakt darauf hereinfallen, was ihnen Gefühl, Intuition und lebensblinde Erwartungen ans Gute suggerieren, nämlich daß eine Frau namens Kristina ins Land der Guten und Gütigen allein durch die Überzeugung gelangt, daß dieses Land der Guten und Gütigen (West) existiert und die politische Polarität das Gegenteil (Ost) als anfaßbares Übel in der Welteinteilung zementierte. Am Ende des Romanes steht zwar dramaturgisch korrekt der Fall der Mauer, der Fall aus einer in höchste Höhen geschraubten Erwartung an ein repressionsfreies, intrigengesäubertes, machtresistentes und einfach aseptisches Leben (West) wird aber so deutlich, daß der Leser mit der doch ihm wohl eher blauäugig erscheinenden Romanheldin mitleidet. Er darf getröstet werden: Kristina ist ihm in der Erkenntnis nicht unterlegen, vielmehr ihr voraus. Sie hat durchschaut, was durchschaubar geworden ist, weil sie, ent-idealisiert, erkennt, daß das Verdikt 'Vaterlandsverräterin' nichts anderes darstellt als eine Kategorisierung, zensorisch erteilt von denen, die am Ende Ihres eigenen Traumes entdeckten, wie sehr sie um ihre Ideale und Sehnsüchte betrogen worden waren. Oder mit dem eingangs zitierten Schlüsselsatz zu schließen: Sie glichen Türen wie Schubläden mit Inhaltsangaben. Solange jedenfalls, wie sie als solche zu funktionieren hatten. Leser, die Zeitläufte nicht als bloßes Austauschen von Gegenwärtigem in Zukünftiges begreifen, sondern Zeitläufte als gestaltetes Leben entdeckt haben, werden in Evelin Senarclens de Grancy eine kongeniale, einfühlsame Autorin gefunden haben. Und das ist in einer Zeit der Sprechblasenkultur und der politisch vorangetriebenen Euphemisierung von Leid und Schuld unendlich wertvoll.
- J. Michael Baerwald www.deutscher-buchmarkt.de-
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Das Strahlen einer jungen Frau auf den Plakaten: Ich werde zwanzig. Der Geburtstag der DDR wird gefeiert. So erinnere ich mich.
Im selben Jahr steht eine andere junge Frau an der Donau, bereit zur Flucht in den Westen. Eine Vaterlandsverräterin? Auch sie erinnert sich an diese 20 Jahre - als junge Pionierin, als begeisterte FDJ-lerin - "für eine bessere Zukunft". Trotzdem verliert sie den Studienplatz an der Humboldt - Uni in Ostberlin, nicht wegen politischer Unzuverlässigkeit, sondern wegen einer Liebe. Die seit Jahren getrennt lebende Ehefrau hat politische Macht, trägt das richtige Parteiabzeichen, und ihre Beziehungen reichen bis in die Uni hinein. Aber immerhin: kein Berufsverbot, kein Studienverbot. Sie darf nun in Halle studieren. Sogar für Stipendium und Studentenheim sorgt der Staat.
Doppelbödig wie dieser Staat wird nun auch ihr Leben. Sie heiratet einen Kommilitonen, aber ihre Sehnsucht nach dem Geliebten in Berlin bleibt mächtig und sucht Erfüllung bei jeder Gelegenheit.
Doppelbödig ist auch die neue Familie. Als überzeugte Sozialistin ist die Schwiegermutter mit dem 18-jährigen Sohn aus Düsseldorf nach Ostberlin umgesiedelt, nunmehr Sekretärin bei Erich Mielke im Ministerium für Staatssicherheit. Und die junge Schwiegertochter lernt auch "Beziehungen" schätzen. Während die Bevölkerung Schlange steht, versorgt sich ihre Familie aus den Sonderläden des Ministeriums.
Welch Diskrepanz zwischen sozialistischem Anspruch und der täglichen Wirklichkeit. - Auch ihr Ehemann ist zerrissen, der in der DDR leben muß und von Erinnerungen an Düsseldorf träumt. Zum Schluß entpuppt sich der Schwiegervater gar als Agent, sogar als Doppelagent. Aber damit hat das Drama noch lange nicht seinen Höhepunkt erreicht.
Auch im Westen nichts Neues. Die Flucht gelingt, die Ehe zerbricht, die neue glitzernde Scheinwelt fasziniert. Die junge Frau heiratet ihren Tennispartner und genießt die große Welt ihres Ehemannes, der in guten Verhältnissen zu leben scheint - bis sie entdeckt, auch er ein Agent, sogar Doppelagent. Er hat sie nur als bürgerliche Tarnung benutzt. Aus Angst vor Enttarnung bedroht er sie nun, schlägt sie, richtet die Waffe auf sie und entzündet buchstäblich "Feuer unter den Füßen". Sie flieht wieder einmal, reicht die Scheidung ein, doch wer glaubt ihr? Das Netz der Beziehungen ist auch im freien Westen fein gesponnen. Sie muß sich verstecken und kämpft um Recht und Gerechtigkeit in der freien Bundesrepublik. "Nicht Recht haben, Recht bekommen musst du. Auf die Verbindungen kommt es an...", hält er ihr höhnisch entgegen. Jahre dauert es, bis das Drama ein Ende findet.
Ein Frauenschicksal vor dem Hintergrund deutsch-deutscher Geschichte, nicht untypisch und doch einmalig in seinem Geflecht. Die Verfasserin läßt viele autobiographische Züge erkennen, erzählt geschickt in Rückblenden ihre Geschichte der Hoffnungen und Enttäuschungen, sodaß Vergangenheit und Gegenwart, Ost und West, ineinander fließen. Liebenswert ist, wie sie trotz der betrogenen Ideale nun im Westen Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit sucht und nach einem leidvollen Weg erkennen muß, daß auch hier gilt: die Verhältnisse, die sind nicht so. Doch bleibt die Sehnsucht danach - wer wollte ohne sie leben? Ohne sie wäre man wirklich ein Vaterlandsverräter.
Eine spannende Lektüre, die man beginnt und zu Ende liest, auch die Nacht durch.
Pastor Arno Hinz, Bad Münder
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