Cornelia Jackwert
Ich küss' Dich
Der Tisch war wunderschön von uns gedeckt, die Kerzen brannten, und es duftete wunderbar nach gutem Essen. Ein lustiger und schöner Abend begann. Oliver und Jürgen verstanden sich auf Anhieb und waren zwei sehr humorvolle Unterhalter.
Obwohl ich mich intensiv an der Unterhaltung beteiligte, war ich doch nicht so ganz mit meinen Gedanken bei der Sache. Immer und immer wieder mußte ich, ob ich wollte oder nicht, an Klaus denken. Gerade diese gemütliche Viererrunde erinnerte mich an viele, mit Klaus und gemeinsamen Freunden verbrachte Abende. Weshalb fällt einem immer nur das Positive ein, wenn man an eine kaputte Beziehung zurückdenkt, fragte ich mich melancholisch. Vielleicht sitzt ja der Mann deines Lebens mit an diesem Tisch - ich betrachtete Herrn Jacobi bzw. Jürgen etwas genauer -, und du gehst blind an ihm vorbei. Ach was, verwarf ich diesen idiotischen Gedanken gleich wieder, bestimmt ist er auch so eine fertige Type, beziehungsgeschädigt, oder weshalb hatte ein Mann mit solch einem Aussehen keine Freundin, war nicht gebunden?
Vielleicht hatte er ja eine, dieser Gedanke schoß mir urplötzlich durch den Kopf, woher wollte ich eigentlich wissen, daß Jürgen keine Freundin hatte? Nur weil ich ihn noch nie in Begleitung einer Frau gesehen hatte? Schließlich wohnte ich ja erst knapp eine Woche bei Britta, und diese wußte natürlich auch nicht mehr über ihn, als daß er erst kürzlich in dieses Haus eingezogen war. Frontalangriff ist doch das Beste, dachte ich mir und fragte Jürgen geradeheraus, wie lange er denn schon hier wohnen würde. Er erzählte uns, daß er erst kürzlich hier eingezogen sei, was Britta ja wohl bestätigen könne, und sehr froh sei, den heutigen Abend in so netter Gesellschaft verbringen zu können.
"Der kann sich verstellen", konterte ich lachend, und alles schmunzelte. Wir unterhielten uns wirklich sehr, sehr lustig, und ich mußte feststellen, daß mir der Jürgen nicht nur vom optischen her gefiel, sondern ganz besonders seine freche und lustige Art mich faszinierte. Hatte er doch heute abend zum zigsten Male von meinen Ungeschicken erzählt und sich dabei selbst fast kaputtgelacht. Er sagte, er hätte noch nie in seinem Leben eine Frau kennengelernt, der so viele lustige und chaotische Sachen auf einmal passierten.
"Erzähl doch mal von deinem ersten Skiurlaub", plapperte Britta lachend los. "Also ich schwör’ euch, als Nicole mir das erste Mal von ihrem Skiurlaub erzählte, da habe ich mich fast bepinkelt vor Lachen, nicht daß es mal wieder total chaotisch war, nein, die ganze Art, wie Nicole erzählen kann, also ich kenne wirklich keinen Menschen, der sich selbst so auf den Arm nehmen kann. Wenn Nicole etwas erzählt, erlebt man es hautnah mit. Und dann noch dieser trockene Humor, da könnte ich schreien vor Lachen."
"Na, jetzt übertreibe mal nicht", entgegnete ich, "obwohl" - ich schaute verschmitzt in die Runde - "ich bin schon e lustisch Kerlche, gelle."
Alle lachten wir miteinander. Es wurde von Minute zu Minute ungezwungener.
"Na, jetzt wollen wir sie aber hören, deine Skistory", meinte Jürgen und sah mich herausfordernd an.
"Ein ganz normaler Skiurlaub, wie ihn jeder erlebt, der das erste Mal auf Skiern steht", erwiderte ich.
"Gaaannz normal..." Britta prustete los vor Lachen. "Von wegen normal, komm. Die Jeanette, die damals mit im Urlaub war, hat mir erzählt, der gesamte Skiort wußte, wer Nicole ist, oder...", lachte sie wieder.
"Na ja, gut, die kannten mich halt", mußte ich nun auch lachen. "Also, das war so", begann ich zu erzählen, und alle lauschten und hingen an meinen Lippen.
Es war so ungefähr vor drei Jahren, und ich fuhr mit einer ganzen Clique in Skiurlaub. Wir kamen sonntags an und montags sollte mein Skikurs beginnen. Natürlich war ich mächtig aufgeregt, hatte ich doch nie zuvor auf Skiern gestanden, und das Wort Lift kannte ich nur vom Fahrstuhl fahren. Kurz und gut, ich hatte die Hose gestrichen voll. Natürlich, damit nicht gleich jeder sehen sollte, daß ich Anfänger war, wollte ich wenigstens aussehen wie ein alter Skihase. Mein Outfit war erstklassig: Overall, Skischuhe, Stirnband, Handschuhe. Außer meiner Brille - ich trug eine geliehene Sonnenbrille, meine lag einsam zu Hause -, paßte alles zusammen. Deshalb mußte natürlich noch eine nagelneue Sonnenbrille her. Danach war ich zufrieden. Ich muß sagen, ich sah wirklich super aus: solariumgebräunte Haut, einen pinkfarbenen grellen Lippenstift passend zum Stirnband, ein Wahnsinns-Outfit, nur leider keinen blassen Dunst vom Skifahren. So begann mein erster Tag, Sonntag. Jeanette meinte: "Paß auf, Nici, ich zeige dir jetzt ein bißchen wie man fährt, dann bist du morgen die Beste in eurem Kurs. Ist das ein Angebot?"
"Klar", sagte ich todesmutig.
"Schau", sie deutete auf den Tellerlift, "mit dem fahren wir jetzt hinauf - ist idiotensicher, und dann üben wir ein bißchen. Du mußt mir nur einfach alles nachmachen."
Einfach war gut, es bereitete mir ja schon immense Schwierigkeiten, auf den Dingern zu laufen, wie sollte ich da fahren können. Jeanette war schon lange am Lift angekommen, da kämpfte ich noch mit meinen Füßen - die blöden Dinger gehorchten mir einfach nicht so recht. Endlich hatte ich es geschafft, total naßgeschwitzt - da soll mir noch einmal einer erzählen, Winterurlaub sei nichts, zu kalt, daß ich nicht lache - gelangte ich zu der Warteschlange, die am Lift anstand. Jeanette genau vor mir. "So", sagte sie, sich nach mir umdrehend, "jetzt schau genau hin, du drehst deinen Kopf nach links, schaust dir über die Schulter" - der Bügel des Liftes kam angefahren und Jeanette griff danach - "schnappst dir den Bügel zwischen die Beine" - es sah wirklich ganz einfach aus - "hältst dich fest... tschüüüüßßß..." Mit einem Ruck wurde sie hochgezogen. Also, so schnell ich konnte, stellte ich mich in Positur, leider stand ich etwas zu weit links, drehte meinen Kopf und da sah ich ihn auch schon kommen, den Bügel... Peng... Boing... Dong... machte es, und ich sah nur noch Sternchen, der Bügel schlug mir genau aufs Auge, ich torkelte etwas, schnappte aber trotz allem geistesgegenwärtig nach dem Bügel, schaffte ihn zwischen meine Beine und setzte mich drauf... Peng... Boing... Dong machte es wieder, und ich saß auf dem Boden. Der Liftführer wollte schon den Lift abstellen, allerdings kam ich auch so wieder auf die Beine - auch wenn ich schusselig war, steif war ich nicht - und mit einem Ruck ging’s dann aufwärts. Oben angekommen hielt ich mir mein schmerzendes Auge zu. "Aua, verdammt, tut das weh!"
"Zeig mal!" Jeanette machte einen total betretenen Eindruck, doch plötzlich fing sie fürchterlich an zu lachen. "Dein Glas, dein Glas, wuuuaahhhhahaha..."
"Mann, was lachst du denn so blöde?" sagte ich und griff wieder zitternd nach meinem Auge.
"Deine Bri... hihihihihi... lle, dein Brillenglas ist weg, und du... wuuuaaahhhh... hast es gar nicht gemerkt."
Tatsächlich, ich griff laufend durch das Brillengestell an mein Auge und hatte bis eben nicht bemerkt, daß mein Glas verschwunden war, was ja auch kein Wunder war, hatte ich doch wahnsinnige Schmerzen.
"Komm, laß mal sehen", sagte Jeanette und verkniff sich das Lachen. Sie nahm etwas Schnee und drückte ihn mir aufs Auge. Jetzt mußte auch ich fürchterlich anfangen zu lachen, der erste Schock war überwunden, die Schmerzen wurden erträglicher.
"Hat es sehr blöde ausgesehen?" fragte ich Jeanette.
Sofort schrie sie wieder los vor Lachen. "Mensch, Nicole, du müßtest dich mal sehen, was heißt hier ausgesehen - es sieht noch immer aus."
"Ich meine doch, wie ich mich da unten angestellt habe?"
"Na klar, ich habe mich hier oben gebogen vor Lachen, aber schwer gelenkig bist du, ich wäre da nie wieder hochgekommen - ehrlich."
So begann mein erster Tag im Skiurlaub. Mein Auge bekam Farben, die ich liebte, meine teure Sonnenbrille war im Arsch, aber Liftfahren, das beherrschte ich nach dem ersten Tag, denn ich ließ es mir natürlich nicht nehmen, diesen hundsgemeinen Tellerlift zu überrumpeln, der sollte mich nicht noch einmal zum Sturz bringen. Jeanette bewunderte meinen Ehrgeiz - ich übrigens auch.
Am darauffolgenden Tag begann dann mein Skikurs. Nachdem wir eine dreiviertel Stunde wie die Idioten einen Hügel, den man mit der Lupe suchen mußte, mehr begangen als befahren hatten, ging es nun zum Lift.
"So", sagte Markus unser goldiger Skilehrer. "Jetscht lernen wir das Liftfahren... odderrrr?" Kaum dort angekommen, winkte mir auch schon der Liftführer zu. "Aahh, da ischt ja wieder mein Schatzimausi in pink", lachte er und winkte so heftig, daß ich Angst hatte, er könne sich den Arm auskugeln.
"Warscht du hier schon einmal?" fragte Markus und schaute mich an.
"Ja", sagte ich, indem ich meine Sonnenbrille abnahm - ich trug wieder die geliehene von Jeanette -, deutete auf mein Veilchen, lachte und sagte: "Sieht man’s nicht?"
Der gesamte Skikurs brüllte los vor Lachen. Zwar war ich schon die ganze vorangegangene Stunde der Clown unserer Mannschaft, aber andererseits gefiel es mir sehr gut, andere Menschen zum Lachen zu bringen. Wir fuhren also allesamt mit dem Tellerlift nach oben. Wie ein Profi kam ich mir vor, war ja so kinderleicht, wie die sich alle nur anstellten. Zwei aus meiner Gruppe stürzten gleich zu Anfang aus dem Lift, die anderen hingen kreuz und quer am Seil, nur ich, ich fuhr ganz souverän den Berg hinauf. Was doch so ein ganzer Tag ausmachen kann. Endlich waren wir alle oben angekommen, und Markus erklärte uns noch einmal den Schneepflug, den er uns ja bereits bis zur Selbstaufgabe auf dem Idiotenhügel beigebracht hatte. Es war schon seltsam, bei allen funktionierte es - na ja, es sah zumindest so aus. Nur ich wurde schneller und schneller. Was soll´s, dachte ich mir, gibt ja noch die Textilbremse. Außerdem machte es weitaus mehr Spaß, so hinunterzufahren als andauernd zu bremsen.
"Niiiiiiiicccccciiiiiii!" schrie Markus hinter mir her. "Verdammt noch mal, willst du dir die Knochen brechen?" Mittlerweile hatte meine Geschwindigkeit enorm zugenommen, jetzt oder nie, dachte ich und ließ mich auf meinen Allerwertesten fallen. Ich muß zugeben, daß mir dieses in jüngeren Jahren etwas leichter gefallen wäre, allerdings kam ich trotz kleinerer Hindernisse noch rechtzeitig zum Halten. Nun durfte ich wieder mit meinem geliebten Lift fahren.
"Hallo, Schatzimausi!"
"Hallo, Mäuseschwänzchen", entgegnete ich und lächelte dem Liftführer zu. Oben angekommen, wurde ich gleich von Markus empfangen.
"So, Nici, jetzscht fährscht du gaanz langsam im Schneepflug hinter mir her. Ich fahre im Pflug voran, und du folgscht mir, gaaanz langsam Nici, gaaaanz langsam."
"Aye, aye, Sir!"
"Kommscht du, Nici?" drehte er sich fragend nach mir um.
Immer schneller werdend - das mit dem Schneepflug klappte einfach nicht so ganz - schrie ich: "Bin schon da", und fuhr ihm zwischen seine geöffneten Beine. Rumms, da lagen wir beide. Das Gelächter der anderen und natürlich auch meines war riesengroß. Elisabeth, eine Frau aus meinem Skikurs, meinte, noch einmal so ein Ding von mir, und sie würde in die Hose machen.
Markus und Nici als zweite.
"So, Nici, versuchen wir esch jetscht noch einmal!" Er hatte so einen süßen Dialekt. "Ich werde rückwärts fahren, im Pflug, schau genau her, und du folgscht mir gaanz langsam im Pflug."
Alle meine Mitschüler hatten sich auf dem kleinen Abhang als Zuschauer postiert, sie sollten solange dort warten, bis Markus auch sie dort oben abholen würde.
Er breitete seine Arme aus. "Komm, Nici, komm, gaaanz langsam, jaaaaa, so ischst guuuut, wunderbar, Nici, wer sagt esch denn, wundervoll Nici, jaaaa... komm, auaaaahhhhh...!"
Als wir endlich zum Halten kamen, lag ich auf Markus drauf. Unsere Bindungen hatten sich etwas verheddert, die Skier standen kreuz und quer in der Luft, und unsere Beine mußten wir auch erst einmal passend zum Körper sortieren, aber ansonsten waren wir putzmunter.
Eine Lachsalve erklang oben vom Berg, und ich errötete, denn Markus und ich lagen so verwurschtelt und engumschlungen, daß die vorbeifahrenden Skilehrer dumme Bemerkungen losließen.
"Das kann ich mir gar nicht vorstellen, daß du rot werden kannst", sagte Jürgen erstaunt.
"Ganz einfach, der Markus gefiel mir, und diesbezüglich bin ich, was das Erröten anbetrifft, etwas labil."
"Sooo", sagte Jürgen und blickte mir tief in die Augen, und ich konnte nicht verhindern, daß mir abermals die Schamesröte ins Gesicht lief.
"Wie ging´s dann weiter?" half mir Britta aus dieser peinlichen Situation.
"Ich überzeugte Markus davon, daß ich den Schneepflug lieber wieder alleine üben würde - ihm gefiel mein Vorschlag übrigens auch. Anfangs ging es auch ganz gut, endlich schien es zu klappen, allerdings kann man sich ja irren. Unerwartet wurde ich wieder schneller und schneller. Ich überlegte mir schon, wann ich mich diesmal zu Boden fallen lassen sollte, als ich einen aus dem Boden ragenden, riesigen Holzmasten erblickte. Na, dachte ich mir, den umfährst du doch einfach, hakst dich mit dem Arm ein, und schon kommst du zum Stehen. Gesagt, getan. Ich fuhr geradewegs auf diesen im Schnee steckenden Holzmast zu, machte eine kleine Linkskurve - von Wedeln konnte man bei meinen Fahrkünsten ja weiß Gott nicht reden - und hakte mich an diesem Pfosten unter.
Doch dieser Unterhak-Bremsversuch scheiterte kläglich. Mit einem etwas verdutzten Gesicht und einem etwa zwei Meter langem Holzmast im Arm fuhr ich weiter, sehr zur Erheiterung meiner Mitschüler. Elisabeth mußte nach diesem gescheiterten Bremsversuch ihren Overall wechseln - ich brauche euch wohl nicht zu erklären weshalb", sagte ich und schaute Jürgen verschmitzt an.