In der Nacht schlug der Hund an, der Josef in seine Kammer gefolgt war und dort geschlafen hatte.
»Sei ruhig, Asta.«
Doch der Hund jaulte leise und kratzte an der Tür. Da dieses Verhalten des Hundes ungewöhnlich war, zog Josef sich an, nahm seinen Knüppel mit sich, den er sich im Herbst zur Freude des kleinen Johann aus einer Hecke geschnitten und kunstvoll die Rinde an einigen Stellen geschält hatte, um nachzuschauen. Irgendjemand musste sich auf dem Hof oder in der Nähe herumtreiben. Draußen zerrte der Hund an seinem Halsband und zog ihn zur Scheune. Er ließ den Hund frei, der losstob und knurrend vor einer Gestalt stehen blieb. Josef folgte dem Hund, den Knüppel griffbereit in der Hand.
»Wer da?«
»Sorry, I am Major Tom Farlay.«
»Asta, bei Fuß!«, befahl Josef dem Hund, der gehorchte. Er begriff, es musste der Engländer aus dem abgeschossenen Flugzeug sein.
»Sprechen Sie Deutsch?«
»Ja, ein wenig!«
»Haben Sie keine Angst, ich tue Ihnen nichts.«
Der Mann trat aus seinem Versteck. Er war groß gewachsen und im schwachen Mondlicht erkannte Josef die braune Uniform.
»Come on!«
Ein paar Worte aus der Schule fielen ihm ein. Er nahm ihn mit in seine Kammer und gab ihm zu trinken.
»Thank you.«
Nun erst sah Josef die verdreckte und durchnässte Uniform, die von Wasser triefte. Der Engländer fror. Sie saßen sich gegenüber. Josef überlegte, was er tun sollte. In knappen Worten erklärte er ihm, dass er kein Deutscher sei, sondern ein polnischer Kriegsgefangener, der seit drei Jahren auf dem Hof arbeiten musste. Er betonte, um den Mann zu beruhigen, dass er nichts zu befürchten habe. Die Leute auf dem Hof seien keine Sympathisanten des Regimes. Der Mann brauchte trockene Kleidung und zu essen. So gingen sie zusammen ins Haus. Luisa und Leni saßen in der Diele, als sie Geräusche aus der Küche hörten.
»Was suchst du Josef?«, fragte ihn Luisa.
Er zuckte zusammen, da er ihr Kommen nicht bemerkt hatte.
»Das ist Major Tom Farlay. Er konnte sich mit dem Fallschirm retten.«
Ohne zu zögern, forderte sie die beiden Männer auf: »Kommt in die Diele zum Herdfeuer. Ich werde Vater holen.«
Nach kurzer Zeit kam der Bauer in die Diele geeilt und bot dem Engländer einen Sessel nahe am Kamin an. In gebrochenem Deutsch gemischt mit englischen Brocken verständigten sie sich, da auch Luisa und Leni in der Schule etwas Englisch gelernt hatten. Sie erfuhren, dass er der Pilot der Maschine gewesen war. Seinem Funker war es nicht mehr gelungen abzuspringen, dem Mechaniker hätten sie den Fallschirm zerschossen. Er sei geflüchtet und die Dunkelheit habe ihn gerettet. Vor den Verfolgern habe er sich in einem Bach unter einer Brücke versteckt, das Wasser sei kalt gewesen. Um Spuren zu verwischen, sei er ein Stück durch den Bach gewatet. Nun sei er hier und bitte darum, nicht an die deutsche Polizei übergeben zu werden.
»Wir werden Sie nicht ausliefern!«
Der Engländer hatte verstanden, sprang auf und gab dem Bauern die Hand.
»Thank you, thank you so much!«
»Was wollen Sie tun?«, wollte der Bauer wissen.
»Ein paar Tage verstecken und dann versuchen, zu fliehen.«
Luisa bewunderte ihren Vater. Sie wusste, er würde helfen, so gut er konnte.
»Wir reden morgen weiter. Heute Nacht sind Sie hier sicher.«
Der Bauer nahm dem Major das Versprechen ab, nicht zu fliehen, da seine Familie in Schwierigkeiten geriete, wenn die Gestapo entdecken würde, dass sie ihn versteckt und nicht sofort ausgeliefert hätten, wie es befohlen war. Luisa lachte, als der Vater den Major mit »Come on«, aufforderte, ihm zu folgen. Er wollte ihm ein Zimmer zeigen und trockene Kleidung geben.
Nun standen sich Luisa und Josef allein gegenüber, denn Leni war zu ihrem Kind geeilt, dessen Geschrei sie gerufen hatte. Josef drehte sich um und wollte gehen. Für ihn gab es nichts mehr zu tun. Während der Unterhaltung am Kamin hatte er Luisa vorsichtig beobachtet und hatte den Eindruck, dass sie ihn betrachtet hatte, denn sie schlug die Augen nieder, wenn sich ihre Blicke streiften.
»Bleib, Josef!« Ihre Stimme klang sanft und bittend.
»Luisa, ich bin müde und ich muss noch einmal nach dem Vieh schauen. Zwei Kühe werden bald kalben.«
»Bleib, bitte. Das wird nicht heute Nacht sein.«
Josef kehrte um. Das warme, flackernde Licht des Kamins zeichnete die weichen Linien ihres Gesichtes. In ihren Augen glitzerten die Flammen im Widerschein.
»Du hättest mit dem Engländer fliehen können!« Sie schaute ihm gerade in die Augen und fragte sich: Warum ist er so abweisend? »Zu zweit wäre es euch sicher gelungen.«
Er wich ihren Blicken nicht aus.
»Meine Heimat ist von Soldaten besetzt. Radio London meldet, dass die Russen auf dem Vormarsch sind und bald in Polen sein werden. Russen und Polen hassen sich.«
»Radio London meldet auch, dass auf der Seite der Alliierten Polen kämpfen.«
Sie wollte ihn herausfordern. Er hatte dem Engländer geholfen, weil dieser in Not war, nicht weil er ihm ein Verbündeter sein wollte. Ihr Herz brannte, sie wollte in dieser Nacht eine Entscheidung. Jedes Abwägen, jedes Hin und Her der letzten Wochen brachte sie nicht weiter. Sie gewahrte seine Scheu und seine Zurückhaltung, seine Stimme hatte gezittert. Sie glaubte, ein Brennen in seinen Augen zu entdecken.
»Josef, du bist mir in den letzten Wochen ausgewichen!«
Seine Stimme klang bedrückt, als er die Silben hervorpresste: »Luisa, was sollte ich tun? Vergiss diese eine Nacht!«
Er rang verzweifelt die Hände. Sie spürte sein Ringen und seine Not.
»Die Ereignisse hatten uns mitgerissen.«
»War es nur das, Josef?«
Er senkte den Kopf, wagte nicht, sie anzuschauen.
»Josef, war es nur das? Sag es mir!«
Ganz leise hatte sie ihm diese Frage gestellt. Er schüttelte den Kopf.
»Was war es? Bitte, sag es mir!«
Sie ging auf ihn zu. Sie wollte seine Antwort. Als sie mit ihrem Vater gesprochen hatte, war ihr bewusst geworden, es war mehr als ein Rausch gewesen. Sie hatte ihn aus ihren Träumen verbannen wollen, es war ihr nicht gelungen. Sie griff nach seinen Händen, doch er entzog sie ihr. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Luisa!«
Er schaute sie an und schüttelte den Kopf. Erneut ergriff sie seine Hände, er ließ es geschehen.
»Josef, ich erwarte ein Kind.«
Er schrak zurück.
»Ein Kind?«
»Ja, Josef, ich bin schwanger.«
Er starrte sie an.
»Josef, ich bin schwanger von dir. Und ich freue mich!«
Ganz langsam drang diese Wahrheit in sein Bewusstsein, sickerte tropfenweise in ihn, bis sie einen Bann brach und einem Sturzbach gleich ihn durchströmte.
»Sag das noch einmal, Luisa!«
»Josef, ich bin schwanger durch dich und freue mich sehr.« Sie legte seine Hände auf ihren Leib. »Da drinnen ist dein Kind. Ich liebe dich, Josef.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, denn sie war einen Kopf kleiner als er und küsste ihn. Nun brachen bei ihm alle Dämme und Schranken, die er errichtet hatte. Als sie ihn hinter sich herzog, um ihn mit in ihr Schlafzimmer zu nehmen, sträubte er sich.
»Dein Vater, Luisa!«
»Er wird dich morgen nicht verprügeln und aus dem Haus jagen.«
Er zweifelte immer noch.
»Martha und Leni wissen es auch, nur du nicht, du Dummkopf. Komm!«
Ihr schelmisches Lachen beruhigte ihn nicht vollends.
»Was sagt dein Vater?«
»Frag ihn morgen selbst! Er wünscht sich ein Mädchen als Enkelkind.«
Sein Zögern forderte ihr Begehren umso mehr heraus. Nachdem sie sich geliebt hatten, lagen sie nebeneinander und redeten.
»Luisa, was soll mit uns werden?«
»Ich kann es dir nicht sagen, Josef. Niemand kann in die Zukunft schauen in diesen Zeiten.«
Er küsste ihren Leib, wollte die Herztöne des Kindes hören, wenn er seinen Kopf darauf legte und ihn mit einer unendlichen Zartheit streichelte. Sie neckte ihn, wenn er sie fragte, ob es dem Kind nicht schaden würde, wenn er zu leidenschaftlich wurde.
»Es soll spüren, wie du es auch liebst. Sechs Wochen musste es darauf warten!«
»Und du, Luisa, hast du dich ebenfalls nach mir gesehnt?«
»Welche Antwort willst du hören? Doch zuerst du!«
»Luisa, ich habe dich von Anfang an geliebt. Du warst für mich eine Prinzessin auf einem unerreichbaren Stern. Ich durfte dich anschauen, von dir träumen, dich aber nicht berühren.«
»Nun hast du mich wach geküsst.«