Peter Weidlich: Gefangen im Fadenkreuz der Justiz

- Rezensionen -




Zwanghaft offen

Peter Weidlichs Gefängnisroman "Gefangen im Fadenkreuz der Justiz" zeigt das Leben von der anderen Seite.


Von Christian Hardinghaus


Schreib Deine Geschichte auf, ändere die Namen und nenn es Literatur!

Nicht nur die Ähnlichkeit der Namen, auch der Vergleich von Biographie des Autors Peter Weidlich mit der Geschichte seines literarischen Protagonisten Peter Wiegand lassen darauf schließen, dass der Gefängnisroman "Gefangen im Fadenkreuz der Justiz" eine wahre Geschichte erzählt.

Seine 20 Monate dauernde Haft im offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne nutzte Weidlich, um die Geschichte des Pädagogen Peter Wiegand aufzuschreiben, der sich nach zweifelhafter Verurteilung mitten im Alltag einer Freigänger-Abteilung der JVA wiederfindet. Weidlichs Werk ist nicht nur Abrechnung mit den Wirren der Justiz. Gleichermaßen ist es Warnung davor, wie schnell sich das eigene Schicksal ganz unerwartet wenden kann. Wie schnell kann es gehen, dass der Alltag eines Heimleiters, der eigentlich immer nur Gutes tun wollte, plötzlich von der Angst vor Gewalt und der schmerzhaften Sehnsucht nach Freiheit geprägt ist?

Etwa 10.000 Häftlinge verbüßen derzeit ihre Haftstrafen im offenen Vollzug. Die Unterbringung in diesen Einrichtungen, in denen die Insassen täglich ihre Zelle verlassen können, um draußen einer geregelten Arbeit nach zu gehen, ist für den Staat finanziell günstiger. Diese Form der Unterbringung, die für alle Erststraftäter, deren Strafmaß eine Freiheitsstrafe von vier Jahren nicht überschreitet, vorgesehen ist, soll eine reibungslose Wiedereingliederung in die Gesellschaft gewährleisten.

Doch nicht alle hier sind Erststraftäter. Drogenhändler und Steuerhinterzieher kommen in Kontakt mit Gewaltverbrechern, die nach einigen Jahren im geschlossenen Vollzug ihre Verlegung beantragen können. Und es gibt Pädagogen, die im Sinne ihrer Aufgabe einmal nicht ganz genau aufgepasst haben, wofür sie Gelder ausgegeben haben. Und es gibt Heimleiter, die von Kollegen denunziert wurden, weil sie diese Gelder ausgeben konnten.

Weidlich versucht in seinem Buch den Knastalltag so schonungslos wiederzugeben, wie er ist. Die Kommunikation hinter Gittern ist hart und direkt. Die Schwelle zwischen verbaler und körperlicher Gewalt niedrig. Weidlich erzählt von Angst, Wut und Trauer, aber auch von Menschlichkeit und der Hoffnung darauf, dass alles einmal gut wird.

Nicht nur die Geschichte des Pädagogen bewegt. Jeder Inhaftierte hat sein Päckchen zu tragen. Jeder Inhaftierte muss sich täglich überlegen, ob er sich gegen Schikanen von Mithäftlingen zur Wehr setzt und damit selbst seine Bewährung aufs Spiel setzt. Strafgefangene im offenen Vollzug können zwar zu festgelegten Zeiten ihr Gefängnis verlassen, doch Außenstehenden bleibt der Blick hinein verwehrt. Das will Weidlich ändern – ehrlich, direkt und "offen".


Christian Hardinghaus ist Buchautor und als freier Journalist für verschiedene Medien tätig. Im Zuge seiner Berichterstattung recherchierte er mehrfach selbst im offenen Vollzug.