|
Annemarie Hoffmann
Lechou
Jahrelang geht man an demselben kleinen Haus vorbei. Beim ersten Anblick hat man die Augen offen. Zwanzig Jahre bleibt das innere Bild, das die Umrisse von jenem ersten trägt, gleich. Am nächsten Morgen öffnet man die Augen. Man sieht, daß sich die Welt verändert hat. Sie ist weitergegangen.
Der Ausgangspunkt des Romans ist eine Beziehung, die nach zwei Jahrzehnten von einer geschäftlichen Verbindung zu einer persönlichen Beziehung wächst. Dr. Harvey Lechou, dreiundsechzig, seit über dreißig Jahren mit Hildegard verheiratet, zwei erwachsene Töchter, erfolgreicher Anwalt, erfährt in seiner fast ebenfalls so lange verheirateten, jedoch fünfzehn Jahre jüngeren Klientin Lynn noch einmal die Chance, sein Leben neu zu gestalten. Lynn liebt Lechou und glaubt, daß ihre Liebe in der Lage ist, alle Berge zu versetzen.
Harvey Lechou ist in seiner Welt stehengeblieben. Auch Lynn schafft es nicht, ihn den Unglücksfall vergessen zu lassen, der ihm seine eigentliche große Liebe, Beate, auf so tragische Weise wegriß. Immer wieder hört er das schreckliche Kreischen der Autobremsen, sieht den geliebten Körper in der Luft herumwirbeln. Lechous Blick bleibt starr nach innen gerichtet.
Lynn ist mit der Zeit gegangen, offen geblieben. Sie glaubt es zumindest. Es bringt ihr nichts. Als sie an einem Oktoberabend, an dem es leicht nieselt, die in steifem Kanzleideutsch verfaßten Zeilen liest, weiß sie, daß etwas Wunderbares, etwas Schreckliches zu Ende ist. Erst nach langer Zeit sieht sie ein, daß alles ein Irrtum ist, ein bedauerliches Mißverständnis. Wenn jemand nicht dazu gehört, gehört er einfach nicht dazu.
Die Meisterschaft dieses Romans einer tiefen, aussichtslosen Liebe liegt in der mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks ablaufenden Unerbittlichkeit ihres Scheiterns.
|