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Annemarie Hoffmann
Lechou
Ich darf Sie bitten, Ihre Beziehung zu mir endgültig abzuschließen. Sie werden verstehen, daß ich unter den gegebenen Umständen jeden Kontakt mit Ihnen ablehne.
Als Lynn an einem späten Oktoberabend, es nieselte leicht, diese Zeilen in ihren Händen hielt, seine Sekretärin hatte sie auf Lechous Geschäftsbogen geschrieben, war etwas Wunderbares, etwas Schreckliches zu Ende. Nun hatte sie Schwarz auf Weiß, was sie seit Monaten befürchtet hatte. Es war einfach langsam versickert. Es war doch nichts, hatten die anderen zu ihr gesagt. Was hast du nur? Was trauerst du um nichts?
Begonnen hatte alles an einem herrlichen sonnigen Julitag. Lynn war damals in Schwierigkeiten geraten, so daß es ihr geraten erschien, einen Anwalt zu nehmen. "Gehen Sie doch zu Lechou”, sagte Frau Krone, ihre Kollegin, als sie sich ihr anvertraute. "Frau Wiesmeier hat ihre Erbschaftsangelegenheit von ihm abwickeln lassen. Sie war eigentlich sehr zufrieden mit ihm. Außerdem hat Lechou seine Kanzlei gerade erst renoviert. Sie werden staunen, wie modern und elegant es bei ihm ist.”
"Kanzlei Lechou”, meldete sich eine freundliche, jedoch wenig verbindliche Stimme. Trotzdem bekam sie ihren Termin sofort. Auf ihr Klopfen antwortete ihr ein energisches, leicht ungeduldiges "Herein!”, das aber einen sympathischen Grundton hatte.
Sie betrat ein ziemlich großes Zimmer, das ganz in Beige, Grau und Weiß gehalten war. Es war ein eleganter Raum. Er hatte nach Osten zwei große Fenster. Jetzt, am Nachmittag, wurde die Hauswand des gegenüberliegenden klassizistischen Bürohauses von der untergehenden Sonne wie auf einer Bühne gleißend bestrahlt. Die Sitzmöbel waren wie teuere Designerstücke arrangiert. Auch die übrigen Möbel - der Besuchertisch und die Schrankwand aus graugestrichenem Holz, die die ganze rechte Wandseite brauchte und in die der nicht allzu große Schreibtisch des Anwalts integriert war - zeichneten sich durch beste Qualität aus. An der linken Wand hing ein großes, modernes Ölbild in einem breiten, weißen Holzrahmen, das die halbe Länge der Wand einnahm. Lynn fiel vor allem die ausgefallene Zusammenstellung der Farben auf, die die Farbfelder zu bewegen schienen, wenn man das Bild länger betrachtete. Dieses beeindruckende Phänomen entdeckte sie allerdings erst bei einem späteren Besuch, als sie längere Zeit auf die Beendigung eines Telefonats warten mußte, das Lechou in ihrer Gegenwart führte. Neben dem Bild befand sich eine Tür, die in einen Nebenraum führte, aus dem Schreibmaschinengeklapper drang. In der Ecke neben der Eingangstür stand auf einem grauen Granitsockel eine transparent wirkende moderne Plastik aus Stahl.
Lechou drückte auf einen Knopf an der Wand. Schnell verwandelten die herabsinkenden Jalousien den Raum von einer vernehmungsdienstlichen Folterkammer in das angenehme Besuchszimmer eines Anwalts. Nachdem sie sich an die relative Dunkelheit des Raumes gewöhnt hatte, sah sie sich einem Mann Anfang Vierzig gegenüber. Auch damals war er schon nicht gerade als dünn zu bezeichnen. Stattlich sagte man wohl dazu. Seine Korpulenz fiel ihr auf, als er zum Abschluß ihrer geschäftlichen Unterredung von seinem Schreibtischsessel aufstand, um sie an der Tür seines Büros mit einem verbindlichen Händedruck zu verabschieden. Sein Gesicht war im Verhältnis zu seinem Körper schmal. Die dunkelblonden Haare waren schon sehr gelichtet. Sie bildeten einen Halbkranz auf seinem Kopf und ließen seine Stirn sehr hoch erscheinen. Eine schwere, dunkle Hornbrille verdeckte seine Augen. Erst nach einiger Zeit entdeckte sie, daß sie blau waren und sie freundlich und interessiert anschauten.
Ordnungssinn schien nicht gerade seine Stärke zu sein. Auf seinem Schreibtisch waren verschieden hohe Aktenstöße kreuz und quer verteilt. Die eingegangene Post lag noch ungeöffnet neben dem Brieföffner. Eine Pfeife ruhte auf ihrem mit dunkelrotem Leder überzogenen Behältnis aus dickem Glas. An der rechten Seite dampfte eine Tasse Kaffee mit einem kräftigen Schuß Milch. Sie glaubte förmlich, das Aroma schmecken zu können, das sich eigentümlich mit dem exotischen Duft des Tabaks vermischte, der schwer, aber nicht unangenehm über dem Raum lag. Diese unverwechselbare Duftkombination war für Lynn von Anfang ein Synonym für Lechou gewesen. Erst viele Jahre später kam der Duft seines Rasierwassers als Ingredienz hinzu.
Schon beim ersten Mal war ihr der altmodische Abreiß-Terminkalender aufgefallen, der wie ein Relikt aus vergangenen Tagen und halbvergessenen Gegebenheiten wirkte, während der Strauß bunter Dahlien, der in einer schwarzen, glänzenden Kugelvase auf der linken Seite des Schreibtisches stand, die Gegenwart ins Zimmer brachte. Daß er wie ein Anwalt aussah, lag vor allem an seiner dunkelblauen Fliege. Als Zugeständnis an das Wetter hatte er bis zu ihrem Kommen sein Sakko über seine Stuhllehne gehängt; mit einer gemurmelten Entschuldigung hatte er es aber bei ihrem Eintreten schnell angezogen. Dabei waren ihr seine gepflegten, feingliedrigen Hände aufgefallen, die seltsam zart mit den Gegenständen umgingen. Am rechten kleinen Finger trug er einen Siegelring mit einem Lapislazuli-Stein, seinen Ringfinger zierte dagegen ein breiter glatter Goldring.
Lechou bat sie mit einer Handbewegung gegenüber seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Er saß vor dem rechten der beiden Fenster und wippte leicht in seinem bequemen hellbraunen Ledersessel, dessen Armlehnen aus Chrom eigenartig fließend glänzten. Sein Gesicht lag im Dunklen. Er hatte es etwas besser getroffen, denn ihr Gesicht wurde vom Tageslicht angestrahlt, das sich durch den Spalt zwischen Jalousie und Fensterbrett schlängelte. Er sah eine Frau Anfang Dreißig mit ebenmäßigen Zügen, blond und einer zierlichen Figur. Sie trug ein einfach geschnittenes hellblaues Leinenkleid ohne Gürtel. Das Kleid ließ sie nonnenhaft erscheinen, weil es ihre Brüste verbarg, als wären sie etwas Verbotenes. Ihre wohlgeformten Beine widersprachen jedoch der klösterlichen Strenge. Als sie Platz nahm, schlug sie ihre Beine übereinander und versuchte, ihren etwas kurzen Rock soweit wie möglich übers Knie zu ziehen. Ihre Ellenbogen stützte sie auf die Chromlehnen ihres Sessels, als hätte sie Verbindung mit der Materie nötig, während sich ihre Finger brav in ihrem Schoß trafen. Der Ehering an ihrer rechten Hand sah ziemlich massiv aus. An ihren Ohren trug sie kleine goldene Kreolen, die bei jeder Bewegung wie Vorboten ihres Temperaments aus ihrem blonden Haar hervorblitzten. Eine dünne goldene Halskette mit einem kleinen Kreuz zierte mädchenhaft ihren Ausschnitt.
"Was kann ich für Sie tun?” fragte Lechou.
Vor einer Woche habe es in ihrem Haus gebrannt, sagte sie, weil sie vergessen habe, eine Herdplatte auszuschalten. Funkstreife, Feuerwehr, Gaffer, Ruß, Dreck, Aufregung. Jetzt habe sie Ärger und Schwierigkeiten mit der Versicherung. Noch schlimmer sei indes, daß sich auch das Amtsgericht wegen fahrlässiger Brandstiftung eingeschaltet habe. Erfahrungsgemäß hätte die Versicherung mehr Respekt, wenn ein Anwalt bei den Verhandlungen zugegen sei. Außerdem hoffe sie auf seine klugen und wirkungsvollen Schriftsätze.
"Das kriegen wir schon hin”, beruhigte er sie. "Doch dazu müßte ich vorher noch einiges von Ihnen wissen.”
"Fragen Sie”, sagte Lynn und ging offen auf den Anwalt zu. Daß sie ziemlich schnell zu ihm Vertrauen gefaßt hatte, kam auch für sie überraschend.
Das war der Beginn einer guten und fruchtbaren geschäftlichen Beziehung, die fast ein Vierteljahrhundert dauern sollte. Zwanzig Jahre war sie nur geschäftlich.
An einem Septembertag nach zwanzig Jahren fiel Lynn auf, daß die Fälle, die sie zusammen mit ihrem Anwalt zu lösen hatte, seit ein paar Monaten die Angewohnheit hatten, immer schwieriger und langwieriger zu werden. Immer wieder mußte sie ihn aufsuchen, weil der Anwalt noch eine Frage hatte. Immer wieder gab es etwas, daß es unbedingt noch zu klären galt, etwas das man vorher übersehen hatte. Plötzlich war eine Unterlage zusätzlich zu besorgen, die beim letzten Besuch noch nicht erforderlich schien. Mehrmals mußte Lechou sogar in ihrer Firma anrufen, um ausgefallene Einzelheiten nachzufragen. Auch ihr selbst passierte es nun immer häufiger, daß sie bei ihren Besuchen etwas Wichtiges vergessen hatte, so daß sie später noch einmal zu ihm kommen mußte. Das war zwar vorher auch schon gelegentlich vorgekommen, doch lange nicht so häufig wie jetzt.
Das alles war ihr keinesfalls unangenehm. Die Welt war weitergegangen. Ohne daß es ihr gleich aufgefallen war. Zunächst ertappte sie sich immer öfters bei dem Gedanken, Lechou säße ihr gegenüber am Schreibtisch, schaue ihr tief in die Augen und kommentiere unaufhörlich ihren inneren Dialog zu den Dingen des Tages. Und plötzlich stellte sie fest, daß es vorher ein Vakuum gegeben hatte, das er nun ungehindert ausfüllte, als habe es nur darauf gewartet, von ihm ausgefüllt zu werden.
Sie waren sich sympathisch. Von Anfang an war dies so. Sie hatte dieses Gefühl schon lange. Als würde sie ihn seit Ewigkeiten kennen. Es war gerade so, als würde die Zeit vor ihm, die Zeit ohne ihn, nicht richtig zählen. Den Gedanken an eine Liebe verdrängte sie bewußt. Noch hielt sich alles im geschäftlichen Rahmen. Eigentlich konnte sie kaum glauben, daß Lechou sich für sie als Frau interessierte. Lange Zeit glaubte sie, nicht der Typ Frau zu sein, auf den er flog. Allerdings wußte sie nicht, auf welchen Typ er ansprach, denn in dieser Hinsicht wußte sie eigentlich überhaupt nichts von ihm. Ihr selbst fehlte es allerdings sowohl an Erfahrung als auch an der nötigen Lockerheit im Umgang mit Männern. Sie ließ Flirts immer nur an ihrer Oberfläche schwirren. Drohten sie in die Tiefe abzugleiten, blockte sie ab, obwohl sie sich für leidenschaftlich hielt.
Auch Lechou schien es im übrigen an Lockerheit zu mangeln. Er wirkte unbeholfen. Oder war etwas aus der Übung.
Sie begann, das gelbe Haus ihrer Beziehung neu und deutlicher zu betrachten. Ein Zufall verschaffte ihr schließlich den Einblick ins Innere des Hauses. An diesem Tag im September hatte sie einen Termin bei Lechou.
Zwanzig Jahre war sie an dem gelben Haus vorbeigegangen. Ihr Bild von ihm war während all der Jahre fest konturiert gewesen. Eine gute geschäftliche Verbindung. Mehr nicht. Doch das Haus hatte sich jetzt verändert. Heute war sogar die Tür geöffnet. Sie konnte deutlich hineinschauen: die Leiter, der Farbtopf, die Bürste. Nur der Maler war nicht bereit. Lechou hatte seine Brille nicht gefunden.
Er hatte seine Brille, gleich nachdem Lynn sein Büro verlassen hatte, unter den Abrechnungen für seine Klienten gefunden. Ganz offen hatte sie dagelegen. Er hatte sie in seiner Nervosität nur übersehen. Er ahnte etwas, fürchtete die unbewußte Forderung an ihn, entdeckte jedoch, daß er dafür nicht genügend präpariert war. Die Aussicht darauf, es je wieder zu sein, war erschütternd gering. Schon den ganzen Nachmittag, bevor sie kam, hatte er sich nur schwer auf seine üblichen Geschäfte konzentrieren können. Irgendwie war es wieder wie früher, als er noch sehr viel jünger war. Irgendwie war es wie in Beates Zeit, die seine einzig wirkliche gewesen war. Und irgendwie wollte er dies alles nicht wahrhaben.
Lynn würde noch einmal kommen müssen, um die juristische Seite der Angelegenheit zu erledigen. Daß er sie noch einmal sehen würde, war nun wirklich kein Unglück. Für ihn war sie wie eine duftende Brise, die ins Zimmer wehte.
Er hatte nicht geglaubt, daß ihm das Leben noch einmal diese irre Falle stellen würde. Sollte er sich tatsächlich noch einmal auf den ganzen Zirkus einlassen? Noch einmal die ganze Aufregung? Noch einmal das Herzklopfen als ganz junger Kerl? Noch einmal die Heimlichkeiten? Noch einmal die Freude! Doch auch noch einmal die Möglichkeit zu leiden.
Bis vor ein paar Monaten wiegte er sich in der Sicherheit, jetzt abgeklärt zu sein. Oder wenigstens abgeklärter. Hätte ihm jemand seinen jetzigen Zustand prophezeit, er hätte nur gelacht. Er hätte alles weit von sich gewiesen. Hätte sich als das gezeigt, was er sich vorgestellt hatte, inzwischen erreicht zu haben: als lächelnder Weiser.
Mußte aber ein Traum gewesen sein. Lynn weckte ihn so nachhaltig, daß er diese Wachheit nicht mehr ständig ignorieren konnte. Und das mir, dachte er, fast verbittert. Er fühlte sich ausgelaugt vom Leben. Gerade jetzt. So sehr, daß er lieber wieder alles glatt und einfach wollte. Jede unnötige Störung seines gewohnten Lebensablaufes begann ihn zu strapazieren. Wie war es Lynn nur gelungen, solche Macht über ihn zu gewinnen? Sie schien etwas für ihn hinterlegt zu haben. Doch er war nicht mehr Dreißig. Sondern dreiundsechzig.
Ihm fiel auf, daß er in letzter Zeit mehr denn je zählte und rechnete. Nicht nur Schicksalsschläge. Auch Geld. Um sich gegen die Unbill abzusichern. Ein Rechenfehler, wie sich herausstellte. Lynn warf seine ganzen Berechnungen über den Haufen. Er sah Lynn jetzt erst richtig. Seit ein paar Monaten gelang es ihr spielend, ihn zu verunsichern. Wenn es ihr überhaupt bewußt war, so ging sie ganz subtil vor. Er bewunderte sie. Nannte sie in seinen Gedanken oft meine Prinzessin. Manchmal auch meine schöne Prinzessin. Steigerungen aus seiner Jugend. Die Liebe, oder was immer da um Lynn leuchtete, benahm sich ihm gegenüber wie die Morgenröte an einem herrlichen Sommermorgen, die langsam, aber sehr farbig am Himmel hochsteigt. Jenseits des menschlichen Zeitgefühls. Zuerst ist es nur ein kleiner Schimmer. Eigentlich mehr die Ahnung eines Lichts. Man weiß, es ist da. Aber man sieht es noch nicht. Dann öffnet sich das Firmament zu einem winzigen Spalt. Man hat das Gefühl, hinter seiner Haustür zu stehen und durch den Spion erkennen zu können, was draußen auf einen wartet. Was man sieht, ist so grandios, daß es alle längst versunken geglaubte Begeisterung auslöst, bis man das gleißende Licht des Glücks schließlich als vertraut empfindet. Man freut sich. Ja. Doch andererseits schlägt sich dieses gleißende Licht auch wiederum auf die Augen. Daß er nie mit dem zufrieden sein konnte, was ihm das Leben gerade bot. Immer wünschte er sich das Gegenteil. Es war so, als sei er nur in der Opposition lebensfähig.
Sie hatte überhaupt nicht reagiert, so daß er sich nach gründlicher Überlegung entschloß, sie nicht weiter anzurühren. Er war sicher, daß Lynn die Art Frau war, die alles kompliziert hätte. Am Anfang schien jedenfalls für ihn nichts drin gewesen zu sein. Eine Ansicht, der er jetzt nicht mehr anhing. Sie war damals eben noch total naiv gewesen. Ganz klar. Ein Seelchen. Offensichtlich aber durchaus entwicklungsfähig. Jedenfalls hielt ihn irgend etwas davon ab, sie auf seiner Suche nach Beate als Opfer auf der Strecke liegen zu lassen. Für ein paar Jahre verlor er Lynn aus den Augen. Bis diese schwierige Erbschaftsangelegenheit auf seinem Tisch lag. Kam ihm wie Manna vor.
Eigentlich hatte er sich immer komplizierte Frauen ausgesucht. Als hätte er instinktiv nach dem Gegenstück zu seiner schwierigen Veranlagung gesucht. Bisher hatte er dieses Gegenstück immer noch gefunden, auch wenn Hildegard seinem Prototyp nur annähernd entsprach. Zwar war sie auch klein und zierlich wie Lynn, doch sie war schwarzhaarig, Lynn dagegen blond. Lynn war kapriziös und kompliziert. Lynn entsprach in ihrer schwierigen, zuweilen vertrackten Sinnlichkeit mehr Beate.
Hildegards Komplexität war seiner eigenen vertraut. Sie wußte, was sie wollte, und besaß auch die Energie, das, was sie wollte, durchzusetzen.
Sie hatte ihn damals eingefangen. Mit dem ältesten Trick, den die Frauen auf Lager haben. Er war darauf reingefallen. Eigentlich - von heute aus betrachtet - ein Segen: schließlich hatte er damit einen festen Punkt in seinem Leben gefunden. Vielleicht wäre er sonst nur von einer Blume zur anderen geflattert. Vielleicht hätte es ohne Hildegard auch Beate nie gegeben. Wäre er ohne sie glücklicher geworden? Er wußte es nicht. Er eignete sich nicht sonderlich für das Glück.
Hildegard war schwanger geworden. Obwohl er doch aufgepaßt hatte. Sie hatten sorgfältig und genau ihre fruchtbaren und nichtfruchtbaren Tage beachtet. Er hatte damals einen Riesenbammel davor gehabt, ihrem Vater die Sache zu erklären. Fühlte sich irgendwie ertappt. War auch eine schwierige Zeit. Noch zu seiner Referendarzeit. Kein Geld und schon eine Familie am Hals. Und die Promotion noch vor ihm. Doch ihr Alter hatte sich bald beruhigt. Schließlich mußte er einsehen, daß nichts mehr zu ändern war, daß Hildegard ihn heiraten mußte, wollte sie nicht die ganze Familie mit einem ledigen Kind blamieren. Zuguterletzt ließ er dann doch noch Geld für eine Wohnung springen. Und auch bei der Ausrichtung der Hochzeitsfeier zeigte er sich ganz spendabel.
Kanapees und Lansom... Ein lichter Moment. Hildegard war etwas blaß um die Nase. Nicht ganz die strahlende Braut. Warum sollte sie nicht auch einen Preis dafür zahlen, daß sie ihn rumgekriegt hatte? Nichts im Leben ist umsonst. Hab schließlich meine Freiheit drangegeben.
Ihr weißes Leinenkostüm, das sie für sündteures Geld gekauft hatte, trug an der Hüfte auf. Kein Wunder, denn Lisa krabbelte schon seit zwölf Wochen in ihrem Bauch. Sogar das kleine Hütchen mit dem getupften schmalen Schleier, das eher burschikos auf ihren schwarzen, gelockten Haaren saß, als wäre das ganze Thema Hochzeit nur eine Riesenfete, mochte er an ihr leiden. (Er konnte sonst Hüte bei Frauen nicht ausstehen.)
Als die Freunde und Kommilitonen aus ihrer gemeinsamen Studien- und Referendarzeit (auch Hildegard hielt es eine Zeitlang mit der Juristerei, um ziemlich früh ins Lehrfach überzuwechseln) auf das junge Paar anstießen (wobei sie von ihren üblichen zotigen Sprüchen absahen), da war das einer dieser hellen Momente, die viel zu selten in seinem Leben auftauchten. Die neuen, ihm noch nicht vertrauten Verwandten, die freundlich und schützend einen Kreis um das junge Paar bildeten, hatten dies noch verstärkt. Als der Reis der Hochzeitsgäste in seinen Smokingkragen rieselte, hatte er endgültig das Gefühl, das Schicksal würde es gut mit ihm meinen. Alles schien in Ordnung.
Am liebsten hätte er dieses Gefühl angekettet.
Als er beim milden Schein seiner modernen Chrom-Schreibtischlampe seine Computerauszüge in seinen Privatordner heftete, war es ihm, als stünde Beate ganz deutlich vor ihm. Die Beziehung zu ihr war ihm sehr tiefgegangen.
Hildegard hatte ihn vereinnahmt, bevor er die Tür für sie geöffnet hatte. Sie war über Lisa mit dem Brecheisen zu ihm eingedrungen. Andererseits mußte er auch den goldenen Steigbügelhalter berücksichtigen, den Hildegard mit ihrem einflußreichen und vermögenden Vater für seine beruflichen Aussichten bot.
Beate kam aus einer anderen Ecke der Welt. Sie war keine höhere Tochter. Ein Mädchen ohne einen Alten in petto, der was für sie ausbügeln konnte. Das machte sie irgendwie selbstbewußt. Daß die Äpfel hoch hingen, war für ihn kein Hindernis. Er kapierte erst, als es eigentlich schon zu spät war. Plötzlich hatte sich das Liebesstück in ein tödliches Drama verwandelt. Später fragte er sich, ob vielleicht die Regie versagt hatte.
Am Anfang ihrer Beziehung hatte er es einfach genossen, Beates warme, feuchte Lippen zu spüren. Wenn sie ihre Hände um seinen Hals legte und ihren Kopf an seine großen Ohren schmiegte, verirrte sich neben ihrem angenehmen Blumenparfüm auch ein leichter Duft nach Papier und Farbband in seine Nase.
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