Barbara King

Pater Jerôme mit dem Bettelsack

Die Verschwörung


Troubadour:
Vive le Roi, mon cher Richard,
grosser Löwenherze!
Nun zieht Ihr nach Jerusalem
mit dem Ritterschwerte.
Befreit für uns das Heil’ge Land
von den Sarazenen!
Wir dienen Euch mit Herz und Hand —
und mit unserem Leben!


Pater Jerôme mit dem Bettelsack hatte sich das Motto seiner Großmutter zu eigen gemacht, das besagte: "Die beste Nahrung ist die, die den Magen füllt." Er stimmte dem aus vollem Herzen zu. Allerdings besonders dann, wenn es sich um leckere Nahrung handelte. Wenn Schmalhans Küchenmeister war, dann hielt er es eher mit einer anderen Weisheit seiner Großmutter: "Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach." Obwohl er gefüllte Täubchen für sein Leben gerne aß, nahm er auch mal mit einem trockenen Kanten Brot vorlieb.

Pater Jerôme war unversehens in den Strudel politischer Ereignisse gezogen worden, weil ihn Freund und Feind gleichermaßen als Kurier, persönlichen Botschafter, Vermittler oder Vertrauten benutzten. Er genoß das Spiel der Spionage und Gegenspionage. Dabei bog er alles ein bißchen mehr oder ein bißchen weniger nach seiner Façon zurecht und war damit für manch glücklichen Ausgang verwickelter Angelegenheiten verantwortlich. Er sorgte dafür, daß er nicht zum Botschafter des Unheils wurde und achtete bei seinen Dienstleistungen peinlich genau darauf, daß sein Bettelsack immer gut gefüllt war.

Richard Löwenherz, Herzog von Aquitanien und Poitiers und Herzog der Normandie, wurde 1189 zum König von England gekrönt; neben Kaiser Barbarossa in Deutschland war er der mächtigste Herr Europas geworden.

Richard sprach kein Wort englisch, obwohl er als "König von England" 1190 ins Heilige Land zog. Wenn er fluchte, so fluchte er auf französisch. Einer seiner häufig benutzten Flüche war "Bei den langen Beinen Gottes!". König Philipp von Frankreich war damals ein armer Fürst, eingekesselt von Richards großen und reichen Ländern.

Pater Jerôme befand sich auf dem Weg nach Bourgogne, östlich der Loire. Er schmatzte vor Freßvergnügen, wenn ihm die gut mit Knoblauch gewürzten Braten und Muscheln oder Flußfische vorgesetzt wurden. Dabei ging ihm das Herz über vor Wonne.

"Mein Sohn", hörte er eine Stimme, "wann ziehst du endlich weiter in den Süden?"

"Chef, laß mich noch ein klein wenig verweilen. Meine Großmutter pflegte zu sagen: ,Dem Glücklichen schlägt keine Stunde.‘”

"Und - bist du glücklich?"

"Ja, sehr!"

"Merke, Jerôme, es wird dereinst einen Leitsatz geben, der da heißen wird: ,Zeit ist Geld.‘”

"Oh?"

"Für dich bedeutet das: Fülle deine Seele, nicht deinen Magen und nicht deinen Bettelsack! Also, spute dich, denn du hast lange genug gerastet, mein Sohn."

An den Ufern der Yonne stürzten sich wahre Wolken von Mosquitos auf den armen Pater. Es war Anfang Juli. Er flüchtete sich in die Hügel, in das grandiose Schloß Vézelay. Hier gab es viel Volk, das aufgeregt zusammengeströmt war. Die schweren Tore des Schlosses ächzten als sie geöffnet wurden. Hufe klapperten, und Pater Jerôme erblickte ehrfurchtgebietende hochgestellte Persönlichkeiten. Erzbischöfe, Bischöfe und Barone mit ihren farbenprächtigen Bannern waren im Hof versammelt. Ihre Schilde und Hemden zierten leuchtende Kreuze. Man hörte Hörner und Hochrufe, Trompeten und den Gesang des Te Deum.

Jetzt ritt der einunddreißigjährige König Richard Löwenherz auf einem spanischen Hengst ein. Das rote Kreuz war in Juwelen gefaßt, die in der Sonne wie Diamanten funkelten. Auf dem langen scharlachroten Schild leuchteten drei goldene Löwen. Die schmale Rubinkrone saß wie ein Heiligenschein auf seinem rotblonden Haar. Er hatte ein ovales Gesicht, hohe Backenknochen und ein gemeißeltes Kinn.

Pater Jerôme ging auf dem direkten Weg in die Schloßküche, die wie ein Schlachtfeld aussah. Innereien, Blut, Hörner, Fett, Eierschalen und Federn. Die Köche hatten riesige Platten mit Fleisch zubereitet und eindrucksvoll dekoriert. Es gab sogar mit Ingwer gefüllten Schweinemagen, der mit Nüssen gespickt war, Aal in Safransoße neben unzähligen Delikatessen. Die Hauptattraktion bildete Kapaun am Spieß.

Zielsicher fand Pater Jerôme den Chefkoch und schmeichelte ihm mit beredter Zunge. Dieser ließ sich gebührend von den Lobeshymnen beeindrucken. Schließlich meinte er: "Wer wartet, bis ihn jemand zum Essen bittet, wird hungrig bleiben. Kommt, probiert den Kapaun!"

Der Pater konterte: "Vom Tischdecken wird der Magen nicht satt, aber er bekommt Hoffnung!" Dabei griff er herzhaft zu, während ihm der Koch sein Rezept verriet:

Man reibe ihn innen und außen mit in Butter zerdrücktem Knoblauch gut ein, fülle ihn mit Majoran, Basilikum, Kerbel und Estragon. Dann reibe man ihn außen mit Salz, viel frisch gemahlenem Pfeffer, zerstoßenem Majoran und Rosmarin ein. Während der Kapaun auf dem Spieß brät, bestreiche man ihn hin und wieder mit Butter. Zum Schluß pinsele man ihn mit einer Honig-Wasser-Lösung ein.

"Ein königliches Gericht, verehrter Meister! Darf ich die Bratäpfel auch versuchen?"

Er durfte, und der freundliche Koch verriet ihm die Zubereitung:

Man wasche große Äpfel, steche das Kerngehäuse aus, ohne den Boden zu verletzten. Dann fülle man eine Mischung aus Johannisbeergelee, Sultaninen und Mandelstiften in die Äpfel und setze auf jeden ein Butterhäufchen. Man brate sie in einer Form, die mit Wein gefüllt ist, bis sie einmal aufplatzen. Man nehme sie heraus, bestreue sie mit Zucker und Zimt und serviere sie heiß.

Im Saal war der Tisch für 60 Personen gedeckt, goldbestickte Servietten, silberne und goldene Salzfässer, feines Tafelgerät. All das kam aus dem Haushalt des Herzogs von Poitiers und gehörte zum dauerhaften Transportgut.

Marschälle, Grafen und Barone, alle in den rot und goldenen Farben der Plantagenets, standen an der Wand des Speisesaals aufgereiht. Der Burgherr ließ es an nichts fehlen, seine hohen Gäste gebührend zu bewirten.

Als die kunstvoll arrangierten Obstplatten, Konfekt und Marzipan hereingetragen wurden, trippelte der Hofnarr zu Richard Löwenherz, setzte sich auf die Armlehne seines Sessels und begann zu singen:

Nur eine Bitte, Majesté,
lernt endlich richtig englisch.
Quel blamage, vous excusez,
den Ohren wird ganz schwindlig.
Ich erteil’ auch gerne Unterricht
— im Rülpsen und im Schmatzen
und hau mir jetzt den Magen voll —
soll der Wanst doch platzen!

Pater Jerôme wollte der inzwischen lauten und angetrunkenen Menge aus dem Weg gehen und flüchtete in den Garten. Hinter einer gestutzten Hecke erklang heiteres, glockenhelles Lachen. Eine weiße Hand schob die Äste auseinander, und eine noch immer lachende Frau trat auf den mit einem Schachbrettmuster gepflasterten Weg. Lockiges hellbraunes Haar umrahmte ihr Blütengesicht; die Augen hatten die Farbe ihres Haares. Sie trug eine jadegrüne Satinrobe. Pater Jerôme nestelte an seinem Rosenkranz und grüßte artig.

"Nun schaut nicht so überrascht, Pater! Folgt mir!" rief sie dem verdutzten Jerôme zu.

Sie führte ihn zurück ins Schloß. Sie durchschritten einen langen Gewölbekorridor mit Statuen aus weißem, schwarzem und rotem Marmor an den Wänden. Die Dame, Petronella mit Namen, hat sich als Großnichte des Schloßherrn zu erkennen gegeben. Sie winkte den Pater eine Treppe hinauf. Als Schritte auf dem Steinboden erklangen, versteckten sich die beiden hinter einem Pfeiler. Eine Tür in der Nähe war angelehnt. Der neugierige Pater Jerôme riskierte einen Blick durch den Türspalt. Er sah den Erzbischof mit einigen hochgestellten Edelmännern. Sie tuschelten miteinander. Eine Verschwörung?

Petronella zupfte ihn ungeduldig am Ärmel seiner Kutte, aber der Pater bedeutete ihr, nicht weiterzugehen. Der Erzbischof sagte nämlich soeben etwas von der Ermordung Thomas Becketts, redete von einem Muttersöhnchen namens Richard, von dem er zu wissen glaubte, daß er Knaben nicht abgeneigt war und einem bevorstehenden Treffen mit König Philipp von Frankreich.

Pater Jerôme hatte genug gehört. Eines schien sicher: Man wollte König Richard ans Leben. Rasch zog er Petronella mit sich, die von alledem nichts verstanden hatte. Eigentlich sollte sie ihn zu ihrem Großonkel, dem Schoßherrn, führen. Der gute Mann hatte Probleme mit seinen Staatsgeschäften, den Steuerabgaben, die man von ihm erwartete und litt infolgedessen an einer dauerhaften Magenverstimmung.

Der Großonkel saß wie zur Bestätigung voller Verzweiflung vor seinem Abakus. Seine Rechnung wollte einfach nicht aufgehen.

"Sire", sagte Jerôme, "ich muß Euch etwas wichtiges mitteilen!"

"Das nimmt mich Wunder, Pater. Ihr seid hier, um mir eine wirksame Medizin für meinen Magen herzustellen."

"Sire", begann der Pater erneut und fuhr schnell fort, bevor ihn der schmerzgeplagte Schloßherr unterbrechen konnte, "man will den jungen König Richard ermorden!"

Ein Komplott gegen seinen hohen Gast konnte nicht geduldet werden. Sieur Alexandre griff nach seinem Weinbecher, füllte ihn bedächtig, um dann den Inhalt in einem Zug hinunterzukippen.

"Sire", sagte Pater Jerôme diensteifrig, "ich habe es mit eigenen Ohren gehört!"

"Petronella, beeile dich, hole meine beiden Söhne mit ihren Leibwächtern!"

Sie alle schlichen auf den Raum zu, den ihnen Pater Jerôme gewiesen hatte. Die Tür wurde aufgerissen, als man gerade dabei war, einen Toast auf den neuen König Johann auszubringen.

Der Pater hatte sich einen Lederhelm aufgesetzt und stand drohend mit einer Hellebarde vor dem Erzbischof. "Ergebt Euch, Verräter!"

"Niemals!"

Es entwickelte sich ein Handgemenge. Nachdem ein Speer das Hinterteil von Pater Jerôme getroffen hatte, drehte dieser sich aufheulend um und ließ seine kampferprobten Fäuste wie Hammerschläge herniedersausen. Stühle stürzten um, Kerzenleuchter wurden umgeworfen, während der Pater einen Hocker ergriff, ihn hochstemmte, um ihn sogleich laut krachend auf einen feisten Edelmann sausen zu lassen.

Mausetote Verschwörer, ein vor Angst schlotternder Erzbischof, der sofort seinen freiwilligen Rücktritt erklärte, waren das Ergebnis des Kampfes. Der Kirchenfürst rückte überdies seine Geldbörse mit vielen Goldmünzen heraus, wenn auch widerstrebend und floh aus dem Schloß.