Florian Wehner: Der Splitter in unserem Auge

- Rezensionen -




Superhirn

Florian Wehner hat sich einen tollen Science Fiction-Roman ausgedacht



Das Turiner Grabtuch ist ein 4,36 Meter langes und 1,10 Meter breites Leinentuch. Das mutmaßliche Grabtuch Jesu Christi zeigt die Vorder- und Rückseite eines Menschen. Normalerweise wird es in einer Seitenkapelle des Turiner Doms aufbewahrt. In dem packenden Roman »Der Splitter in unserem Auge« beschäftigt sich unter der Leitung von Professor Emilio Giuliani jedoch gerade eine Untersuchungskommission mit dem Grabtuch in einem Labor. Natürlich gehen die Wissenschaftler mit äußerster Vorsicht mit der Kostbarkeit um. Groß ist das Entsetzen, als sich das Grabtuch vor den Giulianis langsam aufzulösen beginnt!

Das ist nur eines von vielen erschreckenden Vorkommnissen in dem Roman des Münchner Rechtsanwalts Florian Wehner, in dem Welten - Gutes und Böses - aufeinanderprallen. Und dies an vielen Orten der Welt: New York, Jerusalem, Berlin. Dort, am Potsdamer Platz, treffen der frustrierte Staatssekretär Rudolf Thalheim und Avigdor Bronstein zusammen, der verwöhnte Sohn eines der reichsten jüdischen Bankiers in New York. Samuel Bronstein hatte Avis ständige Affären und Trinkgelage satt und seinen Sohn nach Berlin zu Eli Etzel, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, geschickt. Die Diskussionen drehen sich um die deutsch-israelischen Beziehungen, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit. Der Leser spürt, daß der Autor in die Mischung aus Polithriller und Science Fiction, hinter den mafiösen Netzwerken und mysteriösen Machenschaften der amerikanischen Hochfinanz auch immer auf tieferliegendere Probleme aufmerksam machen und zum Querdenken anregen möchte.

In der Gestalt des eiskalten Superhirns John Beal Yale, der sein Gegenüber allein durch den Blick seiner Pupillen »mit den orangefarbenen Einschlüssen« einschüchtert, scheint sich das Böse manifestiert zu haben. Steckt er hinter der Entführung des ehemaligen Staatssekretärs Rudolf Thalheim und seiner Tochter Aglaia? Die Entdeckung all dessen, was die undurchsichtigen Menschen an dem geheimnisvollen Versteck treiben, versucht Thalheim unter Lebensgefahr herauszufinden, immer in der Angst um seine Tochter, die ihm mehr und mehr zu entgleiten scheint. Die atemraubende Lektüre dieses Romans ist gerade deshalb ein faszinierendes Abenteuer, weil die Handlung von philosophisch-theologischen »Gesprächen in einem Hinterzimmer« angehalten wird. Darin geht es beispielsweise um die Frage »nach einer oder zwei Naturen in der Gestalt des Jesus Christus«. Den Angaben des Autors zufolge ist sein Roman »über weite Strecken eine Zusammenfassung« der Erkenntnisse, die er aus dem Studium der Antike und dem Frühmittelalter, der Entwicklung des Christentums, seinen jüdischen Wurzeln und seiner Verbindung mit der griechischen Philosophie, der Gnosis, der Astrologie und der Schriften Carl Gustav Jungs gewonnenen hat. Das macht die Überlegenheit dieses Romans über die im Vergleich hierzu eher seichten Bestseller »Diabolus«, »Illuminati« oder »Sakrileg« aus. Auch deshalb ist »Der Splitter in unserem Auge« ein Geheimtip für die Leser, die von Dan Brown allmählich genug haben.

ROSWITHA HARDER, LESART 03/09